"Seit 1872!": Mit seiner Tätigkeit in der NS-Zeit hat sich das Unternehmen Mörtingerbau bisher nicht beschäftigt.

Foto: Andy Urban

Nach rund 15 Monaten Bauzeit wird die Shoah-Namensmauern-Gedenkstätte am Dienstag im Ostarrichipark, unmittelbar vor dem Sitz der Oesterreichischen Nationalbank und neben dem alten AKH-Gelände, feierlich ihrer Bestimmung übergeben. Ein besonderer Moment für Initiator Kurt Yakov Tutter, der nach Jahren vergeblicher Bemühungen 2018 endlich Gehör fand, als Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz die Finanzierung zusagte.

4,46 Millionen Euro kommen aus dem Bundeskanzleramt, weitere 600.000 Euro von den Bundesländern. 230.000 Euro steuerte die Industriellenvereinigung bei. Die Verwaltung der Finanzen obliegt dem Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus. Als dessen Generalsekretärin Hannah Lessing kürzlich gemeinsam mit Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) die neue Gedenkstätte besichtigte, standen die Arbeiten kurz vor der Fertigstellung.

"Seit 1872!" baut die Firma

Bis zur offiziellen Einweihung werden auch die Bauzäune abtransportiert sein, an denen die beteiligten Firmen ihre Werbebanner montiert hatten: etwa jenes von Mörtingerbau, "Seit 1872! Unternehmen für Hoch-, Tief- und Ingenieurbau", wie weithin sichtbar zu lesen war. Eine mittelständische Firma, die "alle guten und schlechten Zeiten unseres Landes miterlebte", wie es auf der Website heißt.

Zur Geschäftstätigkeit in der NS-Zeit findet sich bloß der Vermerk, dass der einstige Aufschwung durch die "Besetzung Österreichs beeinträchtigt" gewesen sei. Wer eine Überprüfung der Firmengeschichte oder besondere Sensibilität bei der Auswahl der am Bau einer solchen Gedenkstätte beteiligten Unternehmen erwartet hätte, wird enttäuscht.

Im Zuge des von der Bundesimmobiliengesellschaft abgewickelten Bieterverfahrens war Mörtingerbau im Sommer 2020 mit Rohbauarbeiten beauftragt worden: konkret für die Fundamente der 170 Steintafeln, in die die Namen von rund 64.500 ermordeten Jüdinnen und Juden aus Österreich eingraviert wurden.

Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter

Die Datengrundlage für die österreichischen Holocaustopfer stammt vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Namen jüdischer Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ungarischer Herkunft, die ab 1944 im "Gau Groß-Wien" ihren Dienst versehen mussten, wird man folglich auf den hellen Granitstelen vergeblich suchen. Ihr Schicksal führt eine besondere Perfidie der sogenannten "Judenpolitik" des Deutschen Reichs vor Augen: Nachdem man an die 200.000 Wiener in den Tod geschickt oder ins Exil vertrieben hatte, galt die Stadt ab Oktober 1942 offiziell als "judenfrei".

Wenige Monate später waren 15.000 Jüdinnen und Juden als Arbeitskräfte aus Ungarn nach Österreich deportiert worden. Für viele wurde das Durchgangslager Strasshof ein Ort der Folter und des Todes. Die Arbeitsfähigen wurden von dort in Viehwagons in diverse Sammellager überstellt, um in kriegswichtigen Gewerbe- und Industriebetrieben oder für Großbauprojekte eingesetzt zu werden.

"Kinderbrigade" musste Trümmer beseitigen

In Wien wurden sie von diversen kleineren und größeren Unternehmen für Bau- und Räumungsarbeiten nach Bombenangriffen eingeteilt. Sie ersetzten weitestgehend jene heimischen Arbeitskräfte, die in den Krieg abkommandiert worden waren. Mörtingerbau war eine jener Firmen, die laut historischen Quellen Männer, Frauen und auch Kinder ("Kinderbrigade") mit der Herstellung von Ziegeln und Trümmerbeseitigung beschäftigten.

Untergebracht waren diese Familien in einem "Wohnlager der Gemeinde Wien" in der Mengergasse 33, in einer städtischen "Jungen- und Mädchen"-Hauptschule sowie dem angeschlossenen Kindergartengebäude, in dem insgesamt 639 Personen inhaftiert waren.

Zu finden ist diese Information in Eleonore Lappin-Eppels Publikation von 2010 über den Arbeitseinsatz, die Todesmärsche ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter. Aus wissenschaftlicher Perspektive gehörte der damals unter "Mörtinger & Tades" firmierende Baumeisterbetrieb zweifellos zu den Profiteuren ungarisch-jüdischer Zwangsarbeit.

Seniorchef reagiert überrascht

Auf eine aktuelle Anfrage zeigt sich der Seniorchef des Unternehmens überrascht. Er höre das erste Mal davon, eine solche Tätigkeit in der NS-Zeit entziehe sich seiner Kenntnis, so Helmuth Seidl, Jahrgang 1939, der das Unternehmen 1970 kaufte. Angesichts des 150-jährigen Bestandsjubiläums der Firma (2022) habe er die Geschichte aufzurollen versucht, aber kaum Unterlagen und jedenfalls "keine solchen" gefunden, versichert er.

Den ehemaligen Eigentümer Franz Mörtinger habe er als christlichsozial orientierten Menschen kennengelernt, eine nationalsozialistische Gesinnung würde er – dessen Familienmitglieder teilweise aus politischen Gründen in Dachau inhaftiert waren – jedoch ausschließen wollen. Mit seiner Gesinnung hatte sich, wie STANDARD-Recherchen zeigen, einst auch die Parteizentrale in Berlin beschäftigt, in der Mörtinger als Mitglied des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK), einer paramilitärischen Unterorganisation der NSDAP, sowie der Deutschen Arbeitsfront (DAF) verzeichnet war.

"Konjunkturmensch und Karteigenosse"

Einer Erhebung vom Sommer 1941 zufolge sei er "ohne Bindung mit der Partei" "ein Konjunkturmensch und ein ausgesprochener Karteigenosse". Das geht aus Akten zu Mörtingers Verfahren vor dem Volksgericht 1948–1949 hervor. Obwohl er in diversen Ausweisen als "Parteigenosse" bezeichnet wurde, hatte er sich, anders als im Verbotsgesetz von 1947 vorgesehen, nicht als NSDAP-Mitglied registriert.

Wie sich herausstellen sollte, war er auch nie Parteimitglied gewesen, hatte sich jedoch um eine gewisse Protektion bemüht, um an öffentliche Aufträge zu kommen. Dazu leistete er einmalige sowie monatliche Spenden, die in der zuständigen NSDAP-Ortsgruppe "Laimgrube" jedoch als Mitgliedsbeiträge verbucht worden waren.

Seine Geschäfte liefen gut. Im Februar 1940 war "Dipl. Ing. Franz Mörtinger" – "er gehört der Reichskulturkammer an" – "die Befugnis eines Zivilingenieurs für Hochbau erteilt" worden. Neben seiner Bautätigkeit beriet er Behörden in Luftschutzfragen. Eine einschlägige politische Aktivität ist dem eingesehenen Archivmaterial nicht zu entnehmen.

Kein NSDAP-Mitglied

Ein Gutachten bestätigte 1949 schließlich, dass Franz Mörtinger in diversen Akten zwar als Parteianwärter bezeichnet wurde, jedoch nie Mitglied war, geschweige denn eine Mitgliedschaft beantragt hatte. Im Verfahren merkte ein gewisser Johann Wanke in einer Zeugenaussage jedenfalls an, dass Mörtinger "ungarische Juden gut behandelte, die in seinem Betrieb beschäftigt waren". Wanke, gemäß NS-Rassegesetzen ein "Mischling ersten Grades", war im Personalbüro der Firma beschäftigt und in dieser Funktion auch für die "Ausländer-Betreuung" der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zuständig.

Die gegenwärtige Geschäftsführung hat sich mit diesem Kapitel der Firmenchronik nie beschäftigt. "Wer sich der Geschichte nicht stellt", hatte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka anlässlich des Baubeginns der Gedenkstätte akklamiert, "den stellt die Geschichte."
(Olga Kronsteiner, 8.11.2021)