Links vom roten Band geht's zur Impfung in die Barbarakapelle, rechts zur Messe. Geimpft wurde aber am Sonntag auch nach dem Hochamt bis in die Abendstunden.

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"Impfung oder Messe?", fragt einer der beiden in Schwarz gekleideten Herren am Beginn einer langen Menschenschlange, die ein rotes Band in Impfwillige und jene trennt, die der Predigt des Hochamts lauschen. "Ich will bitte in die Messe", antwortet eine gebrechlich wirkende ältere Frau am Arm ihres Mannes. Gleich nach ihnen kommt ein weiteres betagtes Paar, dieses will den Booster und wird auf die linke Seite des roten Bandes gebeten. Die Menschenschlange zieht sich durch das gesamte Seitenschiff des Stephansdoms bis zur Barbarakapelle, wo die Malteser die Impfung organisieren. Doch man muss sich nicht unbedingt zwischen Dreifaltigkeit und drittem Stich entscheiden. Wer sich am Sonntag im Dom impfen ließ, stand lange genug an, um zumindest weite Teile der Predigt mithören zu können.

"Fantastisches Wien"

So auch eine freundliche Dame, der man ihren Jahrgang 1944 niemals ansehen würde: "Wann komm ich denn sonst schon zum Hochamt im Stephansdom?", sagt sie frisch gestochen in gepflegtem Schönbrunner Deutsch, gefragt, warum sie ausgerechnet in die Kirche zum Impfen kam. Sie wohne eigentlich in Niederösterreich und habe dort auch schon einen Boostertermin am 26. November ausgemacht, aber: "So ein Ambiente ist doch viel schöner. Wien ist zwar nicht meine Couleur, aber die machen das schon ganz fantastisch in dieser Stadt."

Drinnen in der Schlange steht eine Frau noch mit ihrem 21-jährigen Sohn an. "Ich bin schon geimpft, weil ich in einem körpernahen Beruf arbeite, und wenn mein Sohn noch zu Hause wohnen würde, hätte ich ihn schon früher herzaht", sagt sie. Der wollte aber nicht. Und warum jetzt? "Weil morgen 2G ist, ich darf ja sonst nirgends mehr rein. Und mein Chef macht auch langsam Stress ", sagt der junge Mann, der in der Steiermark als Kommissionierer arbeitet. Angst zu erkranken habe er überhaupt nicht.

Heil- und Immunisierungssuchende

Daneben ertönt die Predigt über Lautsprecher. Über den Hebräerbrief spricht der Geistliche unter anderem. Im Tempel in Jerusalem habe der Hohe Priester "immer wieder Opfer für die Sünden bringen müssen", erinnert er, "doch Jesus hat nur ein einziges Opfer, ein für alle Mal, gebracht." Nebenan stellen sich auch viele junge Menschen an, die sich von der als One-Shot-Impfung propagierten Spritze von Johnson & Johnson ewigen Schutz erhofft hatten. Es seien etwa gleich viele Junge wie Alte, erzählt der Herr, der als Platzanweiser für Heil- und Immunisierung-Suchende fungiert: "So viele waren es noch nie. Ich bin heute seit 10 Uhr da, jetzt ist es Mittag, und die Schlange reißt nicht ab."

Ein ehrenamtlicher Helfer der Malteser hat zu Mittag schon 189 ausgefüllte Formulare neben sich liegen, wie er im STANDARD-Gespräch erzählt. Geimpft wird aber noch bis zum Abend.

Doch auch im offiziellen Impfdashboard macht sich das Damoklesschwert der am Montag in Kraft tretenden 2G-Regel schon bemerkbar. Allein am Samstag wurden fast 32.000 Impfungen durchgeführt, jede dritte davon war ein Erststich. Wenn man die Auffrischungsimpfungen dazuzählt, gab es diese Woche 213.000 Impfungen – so viele wie zuletzt Anfang August.

Viele Auffrischer

Angesichts des Rekords von fast 10.000 Neuinfektionen am Samstag überrascht es nicht, dass auch besonders viele Booster-Impfungen abgeholt wurden: 17.113 allein am Samstag. Doch schon am Freitag, noch vor Verkündigung der künftigen 2G-Regel (genesen oder geimpft), gab es einen deutlichen Anstieg: Unter anderem wurden am Freitag 17.011 Erstimpfungen verabreicht.

Die Impfquote wurde am Wochenende erhöht.
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Insgesamt verfügen in Österreich 65 Prozent der Bevölkerung nun über ein gültiges Impfzertifikat.

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) mahnte zuletzt, mit der "augenzwinkernden Wurschtigkeit" aufzuhören. Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) meinte, im Auto schnalle man den Gurt an, die Impfung sei in der Pandemie der Gurt. Und die Zügel für Ungeimpfte müssten nun straffer gezogen werden.

Lockdown

Hinsichtlich der österreichweit niedrigen Impfquote speziell über den Sommer nahm am Sonntag in der ORF-Pressestunde Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Bundesländer in die Pflicht. Der Bund habe den Impfstoff beschafft, für die Abwicklung an Ort und Stelle seien aber die Länder zuständig gewesen.

Im Hinblick auf einen Lockdown wollte Kogler "keine Gespenster beschwören". Doch "regional können natürlich zusätzliche Maßnahmen gesetzt werden", wenn es notwendig sei, so Kogler. Dennoch: Regionale Lockdowns wären nur die "allerletzte Konsequenz". (Colette M. Schmidt, 7.11.2021)