Hamza Haddi bei einer Protestveranstaltung in Marokko.

Foto: privat

Als Hamza Haddi nach Österreich kam, hat er sich Sorgen gemacht. Aber nicht wegen seines Asylantrags, sondern wegen der schweren Covid-Erkrankung seines Vaters in Marokko. Denn für den 27-Jährigen war klar, dass er seine politische Verfolgung in seinem Heimatland beweisen kann. Auf einem USB-Stick hat er Fotos, Medienberichte und Dokumente der Menschenrechtsorganisation AMDH – für die er in Marokko tätig ist – über die Grenzen mitgebracht. Ebenso seine Wunden am Körper, die von der schweren Misshandlung im marokkanischen Gefängnis zeugen. Außerdem erhielten Mitaktivistinnen und -aktivisten in anderen europäischen Ländern bereits Asyl.

Doch für die österreichischen Behörden war das zu wenig. Im negativen Asylbescheid, den Haddi im Oktober zugestellt bekommen hat, steht dezidiert, dass er nie politisch aktiv oder verhaftet war und sich sogar zu den Verbrechen bekannt hat, die ihm in Marokko vorgeworfen wurden. Unter anderem soll er bei einer Demonstration für mehr Freiheiten Polizisten gegenüber gewalttätig geworden sein. Insgesamt wurde er dreimal zu einer Haftstrafe verurteilt. Ein Verfahren gegen ihn ist noch offen, wie er angibt.

Aktivisten im Visier

Amnesty International berichtet unter anderem im Jahresbericht 2014/2015, dass die Prozesse gegen die verhafteten Demonstranten "unfair" gewesen seien und "nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren entsprachen". Auch im jüngsten Jahresbericht schreibt die Menschenrechtsgruppe, dass die Behörden noch immer rigoros gegen Oppositionelle vorgehen sowie Aktivisten und Journalisten gezielt verhaften.

Das war auch der Grund, warum er selbst schließlich beschlossen hat, das Land zu verlassen, erzählt Haddi im Gespräch mit dem STANDARD. Die Behörden hätten gezielt nach den medial bekannten Protestführern aus der 20.-Februar-Bewegung" gesucht, um an ihnen ein Exempel zu statuieren. Jener Bewegung, die während des Arabischen Frühlings in Marokko entstanden ist und der Haddi auch angehört hat. Sein Bild und sein Name waren in mehreren Medien – darunter "Middle East Eye" oder "Al Jazeera" zu sehen. "Freunde von mir wurden verhaftet und zu langen Strafen verurteilt", sagt Haddi: "Ich war schon dreimal in Marokko im Gefängnis, und das will ich nie wieder erleben."

Fehlende Aufzeichnungen

Zunächst bemühte er sich um Asyl in Griechenland, doch aufgrund der Corona-Krise nahmen die griechischen Behörden 2020 keine neuen Anträge an. Er floh über die Balkanroute nach Österreich, wo er im August in Kärnten aufgegriffen wurde und zum ersten Mal durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) befragt wurde. Haddi legte den USB Stick, Fotos und Dokumente vor, die seinen politischen Aktivismus in Marokko beweisen, und verwies ebenso auf die Medienberichte, die im Internet zu finden sind.

Er wurde zum Verfahren zugelassen und nach Oberösterreich gebracht. "Ich habe mir eine Schule für einen Deutschkurs gesucht", erzählt er. Und er trauerte um seinen Vater, der mittlerweile an Covid gestorben war.

Dann folgte eine zweite Befragung, in deren Protokoll Aussagen auftauchen, wonach er in Marokko Polizisten geschlagen hätte. Das sei sein Temperament. "Das habe ich nie gesagt", erzählt er. Beweisen kann er es nicht, denn bei BFA-Einvernahmen wird nicht mitgeschnitten. Es gibt keine Tonaufnahmen von den Gesprächen. Es steht das Wort des Asylwerbers gegen das der Behörden.

Im Regierungsübereinkommen zwischen der ÖVP und den Grünen steht unter dem Punkt "Asyl" die vage formulierte Ankündigung, dass audiovisuelle Aufnahmen der gesamten Einvernahme, insbesondere bei besonders vulnerablen Gruppen", geprüft werden.

Fast-Track-Verfahren

Dadurch, dass Marokko in Österreich als sicheres Herkunftsland gilt, wird bei Haddi ein "Fast-Track-Verfahren" angewandt, das eine schnellere Abschiebung ermöglicht. Bereits Mitte November soll er nach Marokko rückgeführt werden. Er fürchtet, dass bereits am Flughafen die Polizei auf ihn wartet.

Annemarie Schlack, die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, sieht Fast-Track-Verfahren skeptisch. Es bestehe die Gefahr, dass solche verkürzten Verfahren "inflationär" angewendet werden, sagt sie in einem Statement zum STANDARD. In so kurzer Zeit – etwa einem Monat – könnten etwa Traumata der Betroffenen nicht angesprochen werden, und die Einzelfälle würden zu wenig geprüft: "Das alles kann zu einer sehr großen Fehlerquote der Entscheidungen im Fast-Track-Verfahren führen – was wir auch in der Praxis sehen", sagt Schlack. "Die Fehlerquote steigt stetig und lag letztes Jahr bei rund 50 Prozent der BFA-Entscheidungen."

Rechtsvertreterin: "Wasserdichte Beweise"

Mittlerweile wird Haddi von Julia Valenta vom Diakonie-Flüchtlingsdienst vertreten, die den negativen Asylbescheid als grob rechtswidrig ansieht. Sie habe in den vergangenen zehn Jahren Rechtsberatung schon viele Bescheide gesehen, die vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben wurden, weil sie falsch und rechtswidrig waren. "Doch den Fall Haddi finde ich recht außergewöhnlich", sagt sie in einer Stellungnahme: "Das BFA trifft im Bescheid Feststellungen, wie dass Haddi nie politisch aktiv war und nie in Haft war, obwohl beides durch wasserdichte Beweise belegt ist."

Auch die Stelle "Accord" beim Roten Kreuz, die bei Asylverfahren zur Situation der Asylwerber in ihren Herkunftsländern recherchiert, beschreibt in einem Bericht – der dem STANDARD vorliegt – die Verhaftungen Haddis. Es handelt sich dabei aber erst um einen Teil der Anfragebeantwortung, wie das Rote Kreuz auf Nachfrage sagt. Der Fall werde noch bis Dezember weiter ausgearbeitet.

Dann könnte Haddi aber bereits abgeschoben werden. Valenta rechnet sich für die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht aber gute Chancen aus. Sie ist "optimistisch, dass das Gericht an das BFA zur neuerlichen Entscheidung zurückverweisen wird". Denn obwohl ihrer Meinung nach beschleunigte Verfahren durchaus sinnvoll sein können, müssten weiterhin Einzelfälle geprüft werden. (Bianca Blei, 12.11.2021)