Jasmin Cay ist studierte Soziologin, Melanie Görec Lehrerin. Gemeinsam eröffneten die Schwestern ein Spielzeuggeschäft in Wien-Favoriten.

Foto: Andy Urban

Die Holzregale ragen bis an die Decke – und sind voll mit Spielzeug. In einem rekelt sich ein Krake aus Plüsch, in einem anderen sitzen Puppen in weißen Hemdchen, in einem dritten sind Wollwalkanzüge aufeinandergestapelt. Die Sonne wirft ihre Strahlen in das Geschäft, das nicht größer ist als ein Wohnzimmer. Wer genauer hinsieht, entdeckt zwischen der Kugelbahn, den Bausteinen und der Spielküche kleine Kreisel aus Holz: bauchige mit bunten Streifen und ganz kleine, filigrane, die wohl auch für Erwachsene eine Herausforderung sind. "Die sind alle handgemacht, die meisten davon in Österreich", sagt Melanie Görec, nimmt einen aus dem Regal und dreht ihn zwischen zwei Fingern, sodass er wie wild seine Runden dreht.

Görec betreibt mit ihrer Schwester Jasmin Cay ein kleines Spielzeuggeschäft im Sonnwendviertel. Das Sonnwendviertel ist jener Teil des zehnten Wiener Gemeindebezirks, in dem sich ein Neubau an den anderen reiht, in dem es Spielplätze mit futuristisch anmutenden Geräten gibt und Cafés mit Namen wie "Kenny's". Görec und Cay wohnen beide hier. Sie sind auch im zehnten Bezirk aufgewachsen, fühlen sich als "Urfavoritnerinnen". Als sie selbst Kinder bekamen, hegten sie den Wunsch nach mehr Angeboten für Familien.

Bunt, aus Holz und am besten aus Österreich soll das Spielzeug sein. Damit will sich "1100 Kind" von großen Händlern unterscheiden.
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Schnelle Entscheidung

Warum es also nicht selbst in die Hand nehmen? Die beiden Schwestern, von denen eine Soziologin ist und die andere Pädagogin, hielten Schwangerschaftsyoga ab und brachten ein Konzept für ein Eltern-Kind-Café zu Papier. Dann erfuhren sie von dem Geschäftslokal, das für einen relativ geringen Preis zu mieten war. "Wir mussten das recht schnell entscheiden und dachten uns: Na gut, wir probieren das", sagt Görec. Eine mutige Entscheidung, bedenkt man die Konkurrenz durch Onlinehändler wie Amazon und große Ketten. Die fürchten die Wienerinnen aber nicht. Sie grenzen sich ab, indem sie Spielzeug verkaufen, das bei Amazon und Müller gar nicht zu haben ist und das in Österreich oder zumindest in Europa hergestellt wurde.

"1100 Kind" – Görec und Cay benannten das Geschäft nach der Postleitzahl – wurde im Herbst 2019 eröffnet. Ein halbes Jahr später kam bekanntermaßen der erste Corona-Lockdown. Und die ersten Anfragen, ob die Schwestern ihre Produkte auch verschicken würden. Zuerst zögerten sie, "weil wir wussten, dass es wahrscheinlich viel Arbeit wird. Außerdem ist ja das Beraten, der Kontakt mit den Leuten das, was uns Spaß macht", erklärt Cay. Aber nachdem das Geschäft mehrere Wochen zugehabt hatte, konnten und wollten sie sich nicht mehr verweigern. "Wir haben im Umkreis geliefert und die Sackerln kontaktlos an die Tür gehängt." Der Onlineshop kam später. Über ihn erhielten sie auch schon Bestellungen aus Oberösterreich und München.

Um die Ecke einkaufen

Ob Bausteine oder Puppen: Alles soll für alle da sein. Ob Bub oder Mädchen, ist egal.
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Zu den wichtigsten Kunden der Schwestern gehören jedoch vor allem Eltern aus dem Viertel. Es sind Menschen, die bewusst einkaufen wollen, also nachhaltig und regional, und sich das vermutlich auch leisten können. Es kämen aber nicht nur Bobos, sondern auch Eltern aus dem "alten Zehnten", wie die Frauen ihn nennen.

Noch etwas, worauf sie Wert legen: Spielzeug ist nicht speziell für Buben oder speziell für Mädchen da. "Uns ist es wichtig, dass alles für alle ist", erklärt Cay. "Wenn jemand ein Geschenk kaufen will, fragen wir nur nach dem Alter des Kindes, aber nicht, ob es für einen Bub oder ein Mädchen ist." Es komme auch hie und da vor, dass Eltern ein Kleid für einen Buben kaufen, weil der sich eines wünscht. "Die schauen wir dann auch nicht schief an."
Quietschrosa Barbiepuppen oder Superheldenpuppen sind bei 1100 Kind auch nicht zu finden – auch wenn manche Kunden deswegen enttäuscht sind.

Unternehmerinnen-Dasein

Die Öffnungszeiten teilen sich die Schwestern so auf, dass Cay meist vormittags im Geschäft steht und Görec nachmittags. Zwischen 13 und 15 Uhr haben sie geschlossen. "In dieser Zeit holen die Eltern ihre Kinder ab und gehen nicht einkaufen." Es war ihnen auch ein Anliegen, die Öffnungszeiten an ihren eigenen Tagesrhythmus anzupassen. "Wir wollten nicht nach einem Jahr komplett überfordert oder ausgebrannt sein."

Diversität ist in vielen Onlineshops nicht zu haben. Bei "1100 Kind" schon.
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Das Unternehmerinnen-Dasein sei immer noch ungewohnt für sie, die bisher angestellt waren. "Es ist ein komplett anderes Leben: Man muss Geld investieren und hoffen, dass es wieder zurückkommt. Wenn wir Bestellungen machen, blenden wir manchmal aus, dass das echtes Geld ist, sonst würde uns das wahrscheinlich wahnsinnig machen." Bei der Frage, ob sie von dem Geschäft mittlerweile leben können, halten sich die Schwestern bedeckt. Görec arbeitet nebenbei noch wenige Stunden als Lehrerin. Es gehe aber jedenfalls bergauf – während sie vormals an einem guten Tag ein paar Hundert Euro eingenommen hätten, seien es jetzt schon 1.000. Der Plan ist sogar, dass sie demnächst ihre erste Mitarbeiterin einstellen.

"Weil wir aus allen Nähten platzen", wollen sie sich einen neuen, größeren Standort im Zehnten suchen. In das aktuelle Geschäft könnten dann vielleicht Schuhe einziehen, Kinderschuhe. (Lisa Breit, 9.11.2021)