In der Grenzregion zwischen Belarus und EU gab es schon einige Todesfälle.

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Warschau/Minsk – Eine größere Gruppe von Migranten hat sich am Montag nach Angaben der Behörden in Belarus zu Fuß zur polnischen Grenze aufgemacht. Im Internet veröffentlichte Videoaufnahmen zeigten angeblich, wie sich hunderte Menschen auf die Grenze zu Polen zubewegten. Später veröffentlichte der polnische Grenzschutz auf Twitter Bilder, wonach Migranten versuchten, Stacheldrahtzäune zu durchreißen. Polen mobilisierte nach Behördenangaben weitere Truppen.

Bisher sind dem Verteidigungsministerium zufolge bereits mehr als 12.000 polnische Soldaten an der Grenze stationiert. Auch Litauen will weiteres Militär an seine Grenze zu Belarus schicken, wie die litauische Innenministerin Agnė Bilotaitė am Montag auf einer Pressekonferenz mitteilte. Ihren Worten zufolge wollte das Kabinett darüber beraten, ob in dem Grenzgebiet der Ausnahmezustand ausgerufen wird. Die Regierung des benachbarten Lettland nannte die Lage "alarmierend".

"Große Provokation"

Polen warf der belarussischen Führung am Montag vor, eine "große Provokation" vorzubereiten. "Belarus will einen bedeutenden Zwischenfall, Medienberichten zufolge möglichst mit Schüssen und Opfern", sagte Außenstaatssekretär Piotr Wawrzyk im staatlichen Radio. Polens Regierungssprecher Piotr Müller hatte zuvor gegenüber der Nachrichtenagentur PAP erklärt, es könne am Montag an der Grenze zu Belarus zur schwierigsten Situation seit Beginn der Aktionen Lukaschenkos gegen Polen kommen. Man werde weitere Grenzschutzbeamte an den entsprechenden Abschnitt schicken. Außerdem sei man im ständigen Kontakt mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Das Verteidigungsministerium veröffentlichte Luftaufnahmen, die eine große Menschenmenge in der Nähe der Grenze zeigten. Die polnische Regierung berief einen Krisenstab ein.

Die EU-Kommission drängte Polen am Montag, Hilfe anzunehmen. Eine gemeinsame Grenze könne am besten gemeinsam gemanagt werden, sagte ein Sprecher der Behörde in Brüssel. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die Asylbehörde Easo und die Polizeibehörde Europol stünden bereit, bei der Registrierung von Migranten, Bearbeitung von Asylgesuchen und dem Kampf gegen Schmuggel zu helfen. Polen müsse diese Hilfe jedoch anfordern. Man habe die Regierung bereits mehrfach dazu ermuntert, hieß es.

Der Sprecher der Kommission betonte, die Grenzen müssten auf Grundlage der europäischen Werte sowie der Grundrechte gemanagt werden. Migranten müssten die notwendige Hilfe bekommen. Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung in Warschau vor, mit einem neuen Gesetz seit kurzem das Recht auf Asyl auszusetzen. Die EU-Kommission zeigte sich deshalb auch schon besorgt.

Mehrere Todesfälle

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen im österreichischen Nationalrat, Ewa Ernst-Dziedzic, forderte am Montag angesichts der drohenden Eskalation die sofortige Einrichtung eines europäischen Krisenstabs, außerdem sollten Frontex und Easo eingeschalten werden. "Polen ist alleine nicht in der Lage, den schlimmen Zustand auf eine Art und Weise zu lösen, die internationalem wie auch europäischem Recht entspricht, geschweige denn, einen Lösungsweg zu gehen, der menschenrechtliche Standards erfüllt", so Ernst-Dziedzic in einer Aussendung.

Laut Informationen der Grünen-Abgeordneten, die am Wochenende an die polnisch-belarussische Grenze gereist war, befinden sich bereits 12.000 polnische Soldaten an der Grenze. "Das dringlichste Gebot in der jetzigen Situation ist es, menschliches Leben zu schützen", sagte die Ernst-Dziedzic und forderte die rasche Einrichtung eines humanitären Hilfskorridors. Außerdem müsse man Medien und internationalen Beobachtern Zugang gewähren.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko sieht sich in der Kritik, Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Er hatte als Reaktion auf Sanktionen gegen sein Land erklärt, Menschen auf ihrem Weg zu einem besseren Leben im "gemütlichen Westen" nicht mehr aufzuhalten. In der Grenzregion gab es bereits mehrere Todesfälle unter Migranten. Die EU-Staaten Polen und Litauen haben in den vergangenen Monaten tausende Grenzübertritte gemeldet. Als ein Hauptziel der Migranten gilt Deutschland.

"Instrumentalisierung von Geflüchteten"

Die EU erkennt Lukaschenko seit der umstrittenen Präsidentenwahl im vergangenen Jahr nicht mehr als Staatsoberhaupt von Belarus an. Unterstützt wird der "letzte Diktator Europas", wie ihn Kritiker nennen, von Russlands Präsident Wladimir Putin. Der Kreml begrüßte am Montag das Vorgehen der Behörden in Zusammenhang mit den Migranten.

Die Nato warnte dagegen Minsk vor einer Instrumentalisierung der Geflüchteten. Man sehe die "jüngste Eskalation an der Grenze zwischen Polen und Belarus" mit Sorge, erklärte ein Vertreter der Allianz am Montag in Brüssel. Das Militärbündnis stehe bereit, die Verbündeten zu unterstützen und für Sicherheit zu sorgen. Mit dieser "Welle" von Flüchtlingen setze der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko die Natostaaten Litauen, Lettland und Polen gezielt unter Druck. Es sei "inakzeptabel wie das Lukaschenko-Regime Flüchtlinge als hybride Taktik einsetzt", so der Sprecher. (APA, 8.11.2021)