Die Vorsitzenden der Christdemokraten (KDU-ČSL), der rechtsliberalen Top 09, der Bürgerdemokraten (ODS), der Bürgermeisterpartei Stan und der Piraten (von links) unterschrieben am Montag den Koalitionsvertrag. Premier soll Petr Fiala (ODS) werden (Mitte).

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Natürlich war der Zeitpunkt kein Zufall. Am Montag um Punkt elf Uhr traten in Prag die Chefs des konservativen Drei-Parteien-Bündnisses Spolu ("Gemeinsam") sowie des Bündnisses aus Piraten und der liberalen Bürgermeisterpartei Stan zusammen, um vor laufenden Fernsehkameras ihren Koalitionsvertrag zu unterschreiben. Knapp, aber doch kamen sie damit der ersten Sitzung des neu gewählten tschechischen Abgeordnetenhauses zuvor, die nur drei Stunden später begann.

Das Signal war deutlich: Wir haben eine Mehrheit, wir sind einig, wir wollen regieren. Gerichtet war die Botschaft insbesondere an den noch amtierenden Premierminister Andrej Babiš sowie an den mit ihm verbündeten Präsidenten Miloš Zeman, der bei der Regierungsbildung eine Schlüsselrolle spielt. Beide sollten auch ganz offiziell wissen: Versuche, die neue Koalition zu spalten und doch wieder Babiš als Premier zu installieren, seien zum Scheitern verurteilt. Ein Kabinett unter dessen Führung würde im Abgeordnetenhaus keine Mehrheit finden.

Ratlosigkeit nach der Wahl

Die Eile und vor allem der unbedingte Wille, nach außen hin geschlossen aufzutreten, haben einen guten Grund: Noch vor vier Wochen, unmittelbar nach der Parlamentswahl, herrschte in Tschechien große Ratlosigkeit. Zwar hatte sich die neue Anti-Babiš-Koalition bereits unmittelbar nach Bekanntwerden der Ergebnisse auf Regierungsgespräche geeinigt und noch in der Wahlnacht ein Memorandum präsentiert. Doch rundherum war das politische Terrain höchst unsicher.

Spolu war als Dreierbündnis aus Bürgerdemokraten (ODS), Christdemokraten (KDU-ČSL) und der rechtsliberalen Top 09 bei der Wahl zwar auf Platz eins gekommen, Premier Babiš lag mit seiner liberal-populistischen Partei Ano aber nur knapp dahinter. Noch wichtiger: Ano ist im neuen Abgeordnetenhaus wieder die stärkste Einzelpartei. Und Zeman hatte angekündigt, deren Chef zum Premier machen zu wollen, nicht den Kandidaten eines Wahlbündnisses.

Krankes Staatsoberhaupt

Als der 77-jährige Präsident dann nur einen Tag nach der Wahl in die Intensivstation eines Prager Krankenhauses eingeliefert wurde und die Ärzte ihn wenig später als amtsunfähig bezeichneten, war die Verwirrung perfekt. Plötzlich war der Verfassungsartikel 66 in aller Munde, in dem geregelt wird, wie das Parlament dem Staatsoberhaupt die Kompetenzen entziehen kann.

Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt. Zeman wurde vorige Woche auf die Normalstation verlegt. Am Freitag gab er von dort aus überraschend ein Radiointerview, in dem er ankündigte, ODS-Chef Petr Fiala, den Kandidaten von Spolu, zum Premier zu ernennen. Grund: Mit Babiš wolle ja niemand verhandeln.

Das Kalkül der bisherigen Opposition scheint also aufzugehen. Doch noch ist unklar, ob Zeman der neuen Koalition keine Steine in den Weg legen wird. So könnte er etwa die Ernennung einzelner Minister blockieren, was er in der Vergangenheit bereits mehrfach getan hat.

Bekenntnis zu EU und Nato

Zwölf Prioritäten sind im Koalitionsvertrag festgelegt – von der Gesundheits- über die Pensionspolitik bis zur "Verbesserung der politischen Kultur". In ihren Reden hoben die Parteivorsitzenden am Montag aber vor allem zwei Punkte hervor: die Konsolidierung des Budgets und ein Bekenntnis zu EU und Nato.

Ersteres kommt in einem konservativ geprägten Koalitionspapier nicht überraschend. Die zu erwartenden Sparmaßnahmen könnten letztlich aber Wasser auf die Mühlen von Andrej Babiš sein, falls dieser in der Politik bleibt. Der Multimilliardär ist zwar kein genuin "Linker", hat aber vor allem mit Blick auf seine wichtigste Wählergruppe, die Pensionisten, eine freigiebige Klientelpolitik betrieben. Nachdem seine bisherigen Koalitionspartner, die Sozialdemokraten (ČSSD), bei der Wahl ebenso an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert sind wie die Kommunisten (KSČM), könnte Babiš sich künftig zum alleinigen Anwalt der sozial Schwachen im Land machen.

Babiš vorerst geschäftsführend im Amt

Europapolitisch wird vor allem Petr Fiala als Premier versuchen müssen, den EU-skeptischen Teil seiner eigenen ODS im Zaum zu halten. Diese sitzt im Europäischen Parlament etwa mit der rechtsnationalen polnischen PiS in einer Fraktion. ODS-interne Konflikte sollen offenbar dadurch abgefedert werden, dass man sowohl das Amt des Außen- als auch des Europaministers dem Bündnis aus Piraten und Stan überlässt. Zudem übernimmt die Koalition einige Brüssel-kritische Standpunkte der Vorgänger, etwa das Nein zu Flüchtlingsquoten.

Die konstituierende Sitzung des Abgeordnetenhauses dürfte zumindest bis Freitag laufen. Erst danach wird die Regierung Babiš ihren Rücktritt erklären. Bis Fiala zum Premier ernannt wird und sein Team dem Präsidenten vorschlägt, bleibt sie geschäftsführend im Amt. (Gerald Schubert, 8.11.2021)