Wenn er die Kamera sieht, geht ein Ruck durch Hermes. Der siebeneinhalbjährige, normalerweise leicht grantige Langhaar-Chihuahua spannt seinen Körper an und wechselt in den Arbeitsmodus. Als wäre das hier ein Laufsteg in Paris und kein Waldweg in Kritzendorf.

Der Hund ist es gewohnt, fotografiert zu werden, und weiß, dass das mit Belohnungen einhergeht. Was Hermes vermutlich nicht weiß: Er ist ein "Petfluencer". Gemeinsam mit Rivia – einer wuscheligen Papillon-Dame, mit der er sich Haus und Besitzerin teilt – hat er unter dem Handle @hermessv über 20.000 Follower auf der Fotoplattform Instagram. Mehr als so mancher Influencer mit zwei Beinen.

Isabella Willmann ist die Frau hinter dem Insta-Handle @hermessv mit 20.000 Followern. Star des Accounts ist der Langhaar-Chihuahua Hermes.
Foto: Nikolaus Ostermann

Auf Instagram bellt, miaut und flauscht es gewaltig. Ob Hunde, Katzen, Wombats oder Capybaras – kaum eine Tierart, die dort nicht mit zahlreichen Accounts vertreten ist. Das fängt bei kleinen Accounts mit dreistelligen Followerzahlen an, über die Menschen Fotos von ihren Haustieren mit Gleichgesinnten teilen.

Und geht bis zu Giganten wie "jiffpom", einem Zwergspitz mit über zehn Millionen Followern. Von Hobbyprojekt bis Beruf ist alles dabei. Die einzige Gemeinsamkeit: Hinter den Petfluencer-Accounts stehen Menschen, die ziemlich verrückt nach ihren Tieren sind.

"Hermes!" Isabella Willmann stapft in gelben Schuhen den Waldweg entlang. Um die Füße der 21-jährigen Marketing-Studentin wuseln ihre beiden kleinen Hunde herum, gelegentlich ruft sie sie mit einer scharfen Namensnennung zur Ordnung. Seit knapp sieben Jahren ist Willmann die Frau hinter @hermessv. "Das Schönste ist, dass ich über den Account viele Menschen kennengelernt habe, die ähnlich ticken wie ich."

Professionelles Hobby

Willmann bekam Hermes von Schönberg, wie er mit vollem Namen heißt, als sie 13 Jahre alt war. Sie verwandelte ihren privaten Instagram-Account in einen Account für ihren Hund. "Ich wusste eh, dass ich tausend Fotos von ihm machen würde", grinst sie. Der Account wuchs schnell, mit 20.000 Followern gehört er heute zu den größten Tier-Accounts in Österreich. Vor anderthalb Jahren kam Rivia, die wunderschön flauschige Ohren hat und eigentlich "Nightfire’s Unlimited Star" heißt (kein Scherz), dazu.

Hermes und Rivia sind gut trainierte Hunde. Sie setzen sich bereitwillig nebeneinander auf den Weg und halten still. Beim Kommando "Touch!" gibt Rivia Hermes ein Bussi. Willmann macht mit ihnen Agility-Training (ein Hundesport), Rivia fährt auch zu Hundeausstellungen. Aktuell ist sie ungarischer Junior-Champion, der österreichische soll bald folgen. Was heißt das genau? "Dass sie schön ist", sagt Willmann. Kein Zweifel.

Wie viel Zeit Willmann pro Woche in den Account steckt, sei "schwer zu sagen", auch weil die Grenze zwischen Leben mit Hund und Arbeiten mit dem Petfluencer kaum zu ziehen ist. Bei Spaziergängen entsteht oft schnell ein Foto mit dem Handy. Regelmäßig macht sie auch Shootings mit einer professionellen Kamera – zum Beispiel auf einem Kürbisfeld – und bearbeitet sie später mit Photoshop. Länger als einen Nachmittag dauere aber auch das nicht. Mittlerweile ist sie so gut geworden, dass sie darüber nachdenkt, ein Gewerbe als Hundefotografin anzumelden.

Tierische Werbeträger

Willmann liebt ihre Hunde, "ohne Tiere ginge es nicht". Instagram ist mehr ein Nebenprodukt dieser Liebe. Man muss sich die Petfluencer-Szene, vor allem in Österreich, eher als Szene aus maximal semiprofessionellen Tiernarren vorstellen. Bei Nala the Cat, der Katze mit den meisten Followern auf Instagram, beginnen die Preise für ein werbliches Posting bei 8000 Dollar. Von solchen Verhältnissen ist man hierzulande weit entfernt.

Willmann hatte schon einige Kooperationen, wie Werbung in der Influencer-Szene gerne genannt wird, von Produkten wie Hundebetten oder -zahnbürsten bis zu einem kostenlosen Aufenthalt in einem Hotel. "Ich würde nie ein Produkt empfehlen, bei dem ich das Gefühl habe, dass das meinen Hunden nicht taugt", sagt Willmann. "Ich habe deshalb auch schon Kooperationen abgebrochen."

Fünfstellige Reichweite

Die ersten Kooperationsangebote erhielte man oft schon mit einigen Tausend Followern, sagt André Karkalis von der deutschen Petfluencer-Agentur Tony. "Für die meisten Unternehmen ist allerdings eine fünfstellige Reichweite wichtig." Der Ablauf unterscheidet sich im Prinzip nicht groß von der Arbeit mit menschlichen Influencern.

Interessierte Firmen wenden sich an Agenturen wie Tony, die dann an die Petfluencer herantreten. Bei der Produktpalette müsse man immer beachten, dass ein Tier involviert ist, sagt Karkalis. Projekte müssten so geplant werden, dass sie tiergerecht durchgeführt werden könnten. Die Haustierszene ist finanzstark: Der Markt wird allein in Österreich auf 700 Millionen geschätzt. Tendenz steigend, seit der Pandemie noch mehr.

"Aber selbst Top-Petfluencer erreichen nicht die Honorare, die in der Mode- oder Beautyszene bezahlt werden. Deshalb gibt es im deutschsprachigen Raum auch nur sehr wenige Petfluencer, die ihre Kanäle hauptberuflich pflegen."

Nachwuchskraft

Wenn Hermes und Rivia die Semiprofis sind, dann ist Lise so was wie die junge, hungrige Nachwuchskraft. Und das nicht nur, weil sie wie die meisten Hunde immer hungrig ist. Lise ist eine schwarze, herzzerreißend kleine Dackeldame mit großen Knopfaugen. Unter dem Handle @lise_wienerdog verbreitet die Hündin – genauer: Julia Obermüller, ihre Besitzerin – Fotos aus dem Alltag eines "Schlimmdackels".

Das kommt mit ironischem Unterton, aber direkt aus dem Leben. Wenn Lise auf einem Foto eine Blume als Krone trägt und als "Queen of rolling in poop" bezeichnet wird, ist das lustig, aber nicht gelogen: Sie wälzt sich auch im realen Leben gerne in den Haufen anderer Hunde und ist dann beleidigt, wenn sie gebadet wird.

"Ich wollte auch die anderen, die unperfekten Seiten des Hundes zeigen", sagt Obermüller bei einem Spaziergang im Wiener Stadtpark. Ein Hund verursache eben manchmal Chaos und fresse Dinge, die er nicht fressen sollte. "Ich hatte immer das Gefühl, diese Seite der Tierhaltung wird auf Instagram nicht ausreichend abgedeckt."

Lise ist anderthalb Jahre alt, circa so lange betreibt Obermüller auch den Account. Mit seinen 1200 Followern ist er aktuell noch ein Hobbyprojekt der 34-jährigen Industriedesignerin. Die Fotos entstehen mit dem Handy und organisch im Hundealltag. Mit Social Media habe sie vorher nicht viel zu tun gehabt. In ihrem Haushalt gibt es neben Lise noch andere kleine Lebewesen – zwei Katzen, drei Hühner, drei Meerschweinchen, zwei Schildkröten, zwei Kinder –, die sind aber keine Influencer.

Digitale Hundezone

Ob "Schlimmdackel" @lise_wienerdog zum nächsten großen Petfluencer wird? Derzeit folgen dem Account, den Julia Obermüller betreibt, 1200 User.
Foto: Nikolaus Ostermann

Auch für Obermüller ist der beste Aspekt am Petfluencer-Dasein der Kontakt mit anderen Hundebesitzern. Lise ist mittlerweile Teil einer Gang aus Hundeweibchen, die drei dazugehörigen Frauen treffen sich regelmäßig. Das passt auch zu der feministischen Attitüde der Dackeldame: Sie ist nach Lise Meitner benannt, der österreichischen Physikerin, die für ihren Anteil an der Entdeckung der Kernspaltung nie den Nobelpreis bekam. Mit Männern ist Lise eher vorsichtig. Das hat aber keine politischen Gründe, in ihren ersten prägenden Wochen hat sie Lockdown-bedingt keine kennengelernt.

Petfluencer-Accounts erfüllen auf Instagram quasi eine Doppelfunktion: Sie sind so etwas wie eine digitale Hundezone, in der sich die Besitzer treffen, vernetzen und mit ihren Tieren angeben können. Gleichzeitig liefern sie den Menschen ohne Haustiere einen stetigen Strom an cuten Tierfotos.

Die sind sogar gut für die Gesundheit: 2020 stellte die Universität Leeds fest, dass das Betrachten dieser Fotos Blutdruck und Herzfrequenz senken kann. Solange die Tiere nicht Dinge tun müssen, die ihnen zuwider sind, kann man eigentlich nichts gegen das Phänomen sagen. Trifft man die Menschen hinter den Accounts, hat man nicht das Gefühl, als würde das passieren.

Als Lise am Ende des Spaziergangs auf einer Mauer für ein Foto posiert, bleibt eine Passantin stehen. "Entschuldigung, aber kenne ich diesen Hund von Instagram?" Als Petfluencerin ist man eben auch ein Star, selbst wenn man nur ein bisschen über den Knöchel reicht. Lise schaut stolz von der Mauer herunter, zumindest schaut es so aus. Passiert das öfter? "Ehrlich gesagt war es das erste Mal", lacht Obermüller. "Als hätte ich es bestellt." (Jonas Vogt, RONDO exklusiv, 15.11.2021)