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Sebastian Kurz sowie Mitarbeiter und Parteifreunde sind im Zuge der Inseratenaffäre im Visier der Staatsanwaltschaft.

Foto: Reuters/Föger

"Bedenklich" seien die Entwicklungen in der Justiz, findet Georg Vetter in Bezug auf die Inseratenaffäre rund um Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Offiziell hat der Jurist keine Funktionen in der Volkspartei, wie er selbst betont – bis 2017 saß er allerdings für die ÖVP im Nationalrat. Bei einem Hintergrundgespräch, das von einer ÖVP-nahen Agentur organisiert wurde, kritisiert Vetter das Vorgehen der Staatsanwälte in der Inseratenaffäre scharf: Das Verfahren sorge für eine "schlagkräftige Beeinflussung der Öffentlichkeit durch die Bekanntgabe von Ermittlungen". Gleich mehrere Punkte findet er fragwürdig: Den türkisen Beschuldigten drohe eine Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit. Zudem würden die "systematische Verwertung von Zufallsfunden" sowie die Dauer solcher Verfahren Kurz und Konsorten ungerechtfertigterweise schaden.

Ausführliche Anordnung

Gerade die Veröffentlichung juristischer Anordnungen – insbesondere Hausdurchsuchungen – sei medial "gut verwertbar". Ein "Novum" sei dabei jedoch, wie diese aufgebaut sind, findet der ÖVP-nahe Jurist: Früher seien derartige Anordnungen "zwei Seiten" lang gewesen: "mit der Verdachtslage und welche Zwangsmittel", etwa eine Hausdurchsuchung, aus Sicht der Ermittlerinnen und Ermittler notwendig sind. "Das ist dann bewilligt worden." Heute sehe so eine Anordnung "wie eine Anklageschrift aus" – inklusive Sachverhalt und Beweiswürdigung, also der Aufzählung der vermuteten Belege durch die Staatsanwaltschaft, findet der Jurist. Das erwecke den Eindruck, dass "da eine Art Urteil ausgesprochen wird" – obwohl es freilich keines sei.

"Vermischung" der Parteien

Die Staatsanwaltschaft sei eine Verfahrenspartei, die wie ein Verteidiger nur "behaupten" dürfe, "beweisen" könne Vorwürfe nur ein Gericht. Würde beides von der Staatsanwaltschaft vermischt, "gehen wir weg vom Parteienprozess und hin in Richtung Inquisitionsprozess", ist Vetter überzeugt. In der bekanntgewordenen Anordnung zur Hausdurchsuchung bei Beschuldigten aus der ÖVP werde verwässert, dass die Staatsanwaltschaft nur behaupte, nicht beweise.

In justiznahen Kreisen sorgen die Angriffe des Juristen für Irritation: Demnach sei die Anordnung gegen ÖVP-Beschuldigte genauso aufgebaut wie jede andere auch. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte seien bis zu der Hauptverhandlung nicht Partei eines Verfahrens, sondern würden es leiten. Eine Beweisführung sei wesentlich, da sämtliche Anschuldigungen für einen Richter überprüfbar sein müssten. Staatsanwälte müssten zudem Belege vorlegen und ihr Ansuchen begründen, damit ein Gericht einen Antrag bewilligen oder ablehnen kann, heißt es aus der Justiz. Sobald ein Richter oder eine Richterin einem solchen zustimmt, seien die Angaben der Staatsanwaltschaft Teil des gerichtlichen Beschlusses.

Widerspruch

Auch der Rechtsanwalt und Verfassungsrichter Michael Rami widerspricht der Einschätzung Vetters in mehreren Aspekten. Zwar sei etwa eine Vorverurteilung der Medien "tatsächlich immer eine Gefahr". "Dafür können die Ermittlungsbehörden aber nichts; das liegt vielmehr in der Verantwortung der Medien", sagt er zum STANDARD. Auch seien Formulierungen in Anordnungen zwar für einzelne Beschuldigte "naturgemäß unangenehm", würden sich aber "aus der Natur der Sache" so ergeben. Sie seien keine Urteile, die Staatsanwaltschaft müsse die Verdachtslage beschreiben.

Vetter kritisiert in dem Hintergrundgespräch auch die "systematische Verwertung von Zufallsfunden". Dabei werde teilweise in die Privatsphäre eingegriffen. Rami zufolge habe die Staatsanwaltschaft allerdings "jedem Verdacht einer strafbaren Handlung nachzugehen". Auch der Umstand, dass die Verfahren viel Zeit brauchen, sei problematisch: "Das Verfahren selbst wird zur Strafe."

Ermittlungsverfahren dauern

Es sei "im eigenen Interesse" der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) "rasch zu Ergebnissen zu kommen". Ansonsten würde das Vertrauen in die Justiz leiden, da der Verdacht entstehen könnte, sie würde ein "politisches Spiel treiben". Rami stimmt zu, dass Ermittlungsverfahren oft zu viel Zeit in Anspruch nähmen. Teilweise hätten sie über zehn Jahre angedauert. "Das ist für die Betroffenen tatsächlich unzumutbar, wirksamen Rechtsschutz gibt es leider nicht."

Beaufsichtigung verlegt

In Zukunft wird der Ibiza-Komplex, aus dem auch die Ermittlungen zur Inseratenaffäre hervorgehen, übrigens von der Innsbrucker Oberstaatsanwaltschaft beaufsichtigt. Die WKStA hatte zuvor über Störfeuer der Oberstaatsanwaltschaft Wien (OStA) wie etwa schikanöse Berichtspflichten geklagt. Darauf hat man im Justizministerium reagiert. Die Oberstaatsanwaltschaft in Innsbruck ist zwar der Wiener OStA formal zugeteilt, aber weisungsfrei. (Muzayen Al-Youssef, 8.11.2021)