Extrem gestiegene Energiepreise, Inflationsraten, wie man sie seit mehr als einem Jahrzehnt in den Ländern der Eurozone nicht mehr gesehen hat, und dazu erneut exzessiv hohe Staatsverschuldung in einzelnen Ländern der Währungsunion. Das sind die breiten Problemfelder, mit denen sich die EU- und Euro-Finanzminister bei ihrem Treffen zu Wochenbeginn in Brüssel herumschlagen, um die Weichen für eine nachhaltige Erholung im Jahr 2022 zu stellen.

Weil es im wirtschaftlich stärksten Mitgliedsland Deutschland derzeit nur eine Übergangsregierung gibt, Finanzminister Olaf Scholz (SPD) als wahrscheinlich nächster Kanzler einer komplizierten rot-grün-gelben Koalition in Fiskalfragen noch nicht voll entscheidungsfähig ist, steigt die Anspannung über den gemeinsamen Kurs.

Im Oktober betrug die Inflationsrate 4,1 Prozent, mehr als das Doppelte des Referenzwerts der Europäischen Zentralbank (EZB). Gleichzeitig ist das Wirtschaftswachstum quer durch die Union höher als erwartet, Corona-Hilfen in den Staaten laufen langsam aus.

Finanzminister Gernot Blümel mit EU-Kommissar Paolo Gentiloni (links) und Olaf Scholz (rechts), dem wahrscheinlich nächsten Kanzler Deutschlands.
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Belastend jedoch: Die Staatsverschuldung der Länder der Eurozone ist im Durchschnitt auf 100 Prozent der Wirtschaftskraft explodiert. Gemäß dem Euro-Stabilitätspakt sollte sie in normalen Zeiten unter 60 Prozent liegen. Und die Schuldenquoten der Euroländer klaffen so weit auseinander wie nie zuvor. In Griechenland beträgt die Schuldenquote 230 Prozent, in Italien zuletzt 160 Prozent.

In Zeiten von Nullzinsen und wenig Inflation war die Finanzierung bisher kein Problem. Aber die Zweifel daran wachsen. Kein Wunder also, dass bei den Finanzministern die Nervosität steigt, wie man nach den gewaltigen staatlichen Hilfen in der Corona-Krise ab März 2020, als Geld auf Kredit keine Rolle zu spielen schien, wieder auf normale Verhältnisse kommt.

Die EZB setzt auf Beruhigung, Präsidentin Christine Lagarde hatte zuletzt beim EU-Gipfel erklärt, dass die hohe Inflation nur ein "Übergangsphänomen" und im kommenden April wieder niedrig sein werde. EZB-Chefökonom Philip Lane wies vor dem Treffen der Eurogruppe am Montag darauf hin, dass die anhaltenden globalen Materialengpässe in Industrie und Wirtschaft das größere Hauptrisiko für ein Abschwächen der Konjunktur sei, mehr als die Inflation. In dieser Gemengelage spitzt sich die Debatte zu, ob bzw. wie man die an sich strengen Regeln des Eurostabilitätspakts anwenden soll – wie Staaten ihre Budgetpfade gestalten müssen.

Unter der Führung Frankreichs drängen Italien und Spanien darauf, die von der EU-Kommission zwischenzeitlich ausgesetzten Budgetregeln noch "flexibler" als bisher anzuwenden. Sie wollen eher mehr als weniger Ausnahmen, die höhere Verschuldung zulassen.

Blümel hofft, dass Scholz beim klassischen Kurs der Stabilität bleibt.
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Als Gegenpol bildet sich eine Gruppe von acht Staaten mit den Niederlanden, Österreich, Finnland oder den baltischen Ländern heraus, die auf Rückkehr zu strengerer und nachhaltiger Fiskalpolitik drängen. Finanzminister Gernot Blümel hat sich diesbezüglich als Speerspitze positioniert.

Regeln streng anwenden

"Ich hoffe sehr, dass jene Experten die sagen, dass die Inflation nur vorübergehend ist, recht behalten", sagte er im Gespräch mit dem Standard. Man müsse sich aber die Frage stellen was passiere, wenn das nicht so ist. "Damit die Inflation nicht davongaloppiert, müssten in letzter Konsequenz auch die Zinsen steigen oder andere geldpolitische Maßnahmen ergriffen werden", erklärte er, spätestens dann "hätten manche Staaten ein Problem bei der Rollierung ihrer Staatsschulden", also bei der Umschuldung beziehungsweise dem Abbau der Staatsschulden.

Zwar habe er nach wie vor "volles Vertrauen in die Politik der EZB", die versucht, das Zinsniveau niedrig zu halten. Aber: "Entscheidend sind am Ende die Finanzmärkte. Wenn sie der Meinung sind, dass ein Land seine Schuldentragfähigkeit überschritten hat, wird das am Ende ein Problem werden." Für alle, wie er betont.

Blümel plädiert daher für eine Rückkehr zur Anwendung der Regeln des Stabilitätspakts, samt Sanktionen. Nur so könne und müsse man in Zeiten einer Hochkonjunktur jene "fiskalpolitischen Spielräume" erarbeiten, die man zur Bewältigung künftiger Krisen brauche. Das habe die Corona-Krise gezeigt, als großzügige Staatshilfen nötig und richtig gewesen seien. Staaten, die solche Spielräume nicht hätten, seien auf die Hilfen der anderen angewiesen gewesen. Und Deutschland? Blümel hofft, dass Scholz beim klassischen Kurs der Stabilität bleibt. (Thomas Mayer, 9.11.2021)