Das Attentat am 2. November 2020 fand zwar in Wien statt, doch das Netzwerk geht weit darüber hinaus.

Foto: DerStandard / Matthias Cremer

Nicht nur in Österreich, auch in anderen Ländern laufen die Ermittlungen zum Terroranschlag in Wien vor gut einem Jahr. Immer deutlicher wird: Der Attentäter, der vier Menschen erschossen hat, war international vernetzt.

Frankreich

Nur zwei Monate vor dem Attentat wurde in einem Gefängnis in Frankreich ein Brief beschlagnahmt. Verschickt hat ihn der spätere Attentäter K. F. und zwar an A. M., der damals gerade in Haft saß, weil er sich mutmaßlich dem IS anschließen wollte – für ihn und alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. Bei dieser versuchten Ausreise landete er jedenfalls im Gefängnis in der Türkei – vermutlich gemeinsam mit K. F., der ebenfalls schon 2018 zum IS reisen wollte.

Der spätere Attentäter fragt in dem Brief, wie die Zeit in der Türkei noch war, und: "Könnt ihr euch an den Balkon erinnern? (...) Das war eine gute Zeit." Außerdem bittet er um Kontaktdaten von weiteren Personen, A. M. gibt später in einer Vernehmung an, diese seien ebenfalls mit den beiden inhaftiert gewesen.

Die österreichischen Behörden wandten sich im Frühling 2021 an die französischen Ermittler – erstens weil sie einen Tipp wegen des Briefes bekamen, und zweitens weil sie entdeckten, dass K. F. nur wenige Tage vor dem Attentat auch mit der Schwester von A. M. Kontakt hatte. Zurück kamen zahlreiche Unterlagen, darunter ein fast 3.000-seitiges Dokument. Darin ist auch das Protokoll der Einvernahme von A. M. im März 2021 enthalten. Er distanziert sich von K. F. und spricht von einem Fake-Brief, den man ihm untergejubelt habe. Er erinnere sich nur an einen Deutschen, mit dem er in Haft gewesen sei – gibt aber später an, dass er mit "Deutscher" eigentlich "Europäer" meinte.

Belgien

Auch das Umfeld des Wiener Attentäters pflegt extremistische Kontakte in ganz Europa. Ende September baten belgische Ermittler ihre österreichischen Kollegen, unter anderen einen 17-Jährigen zu vernehmen, der in Österreich als Beschuldigter geführt wird, unter anderem weil er gemeinsam mit dem Wiener Attentäter an dem Jihadistentreffen im Juli 2020 teilgenommen hat. Das zeigt eine Europäische Ermittlungsanordnung, die dem STANDARD vorliegt und über die das Profil zuerst berichtete. Chatnachrichten zeigen demnach, dass der 17- Jährige Anfang Oktober 2020 intensiv mit einem 18-jährigen belgischen Jihadisten in Kontakt stand, der selbst nur zwei Tage vor dem Anschlag in Wien festgenommen worden war, weil er einen Anschlag auf eine belgische Polizeistation geplant haben soll. In den Chats unterhielten sich die beiden jungen Männer über die belgische, österreichische und generell europäische Islamistenszene, zu der sie beide offenbar online Kontakt pflegen.

Deutschland

Ende Oktober trat der Innenminister Nordrhein-Westfalens, Herbert Reul (CDU), eilig vor die deutsche Presse. Zuvor hatten etwa 350 Polizisten mehrere Terrorismus-Razzien im Raum Düren nahe Köln durchgeführt. Die deutschen Behörden hegen den Verdacht, dass sieben junge Männer dabei waren, einen Anschlag vorzubereiten.

Die Beschuldigten sollen mit Äxten und Messern im Wald trainiert haben. Festgenommen wurde damals niemand – ein "dringender Tatverdacht" konnte nicht festgemacht werden. Die Gruppe aus Düren versuchte aber vereinzelt, über Treffen an andere europäische Szenen anzudocken, führt Reul aus und schlägt die Brücke direkt nach Österreich: So seien Personen, die in unmittelbarem Kontakt zum Wiener Attentäter K. F. standen, knapp vor dem Anschlag auch in Düren gewesen.

Wie mittlerweile bekannt ist, stehen auch zwei deutsche Jihadisten im Fokus der Terrorermittlungen in Österreich – ob sie es waren, die in Düren gewesen sind, konnte bis Redaktionsschluss nicht aufgeklärt werden. Die jungen Männer B. S. und D. G. kannten aber jedenfalls den Wiener Attentäter K. F. Sie reisten im Sommer 2020 nach Wien und trafen sich für vier Tage mit Gesinnungsbrüdern aus der Schweiz und Österreich. Bei einem dieser Treffen soll der spätere Attentäter seine Anschlagspläne geäußert haben, so lautet zumindest der Verdacht.

In Deutschland läuft gegen B. S. und D. G. deshalb ein Ermittlungsverfahren. Den beiden wird vorgeworfen, die geplante Straftat nicht angezeigt zu haben – die zwei Jihadisten sind aber weiterhin auf freiem Fuß. Für B. S. kommt nun erschwerend hinzu, dass sein DNA-Profil auf Klebeband der Sprengstoffgürtelattrappe gefunden wurde, die K. F. am Tag des Anschlags trug. Der junge Mann nächtigte im Rahmen des Jihadistentreffens beim späteren Attentäter. Auch D. G. hinterließ DNA-Spuren in K. F.s Wohnung.

Schweiz

Zwei junge Männer aus der Schweiz sind vor allem wegen des sogenannten Jihadistentreffens mit österreichischen und deutschen Männern im Juli 2020 auf dem Radar der Behörden. Beide waren zwischenzeitlich in U-Haft, sind aber wieder auf freiem Fuß. Laut der schweizerischen Bundesanwaltschaft läuft gegen die beiden aber nach wie vor ein Strafverfahren wegen Terrordelikten, strafbarer Vorbereitungshandlungen zu Mord und der Gehilfenschaft zu Mord. Im Zentrum stehe die Frage, "ob die Beschuldigten am Terroranschlag in Wien beteiligt waren". (Jan Michael Marchart, Johannes Pucher, Gabriele Scherndl, 9.11.2021)