Der Obersulzbachsee in den Hohen Tauern entstand erst vor wenigen Jahren durch Gletscherschmelze. Das trübe Wasser zeigt, dass er noch mit dem Gletscher verbunden ist.
Foto: Jan-Christoph Otto

Am Ende der Eiszeit, vor rund 12.000 Jahren, entstanden die meisten der österreichischen Seen. An geeigneten Stellen wurde das Schmelzwasser zurückgehalten, und im Lauf der Zeit entwickelten sich die Wasserflächen, wie wir sie heute kennen.

Nun verlieren die Gletscher im Zuge der aktuellen Erderwärmung wieder an Terrain – und wieder hinterlassen sie zahlreiche Seen. Wie das genau erfolgt, untersuchen Wissenschafter der Uni Salzburg, während Forscher der Uni Innsbruck sich mit den Lebensgemeinschaften in den neuen Gewässern befassen.

Ihren letzten Höchststand hatten die österreichischen Gletscher um 1850. Seitdem haben sie mehr als die Hälfte ihrer Fläche verloren, wobei sich die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten merklich beschleunigt hat. Im selben Zeitraum hat sich die jährliche Durchschnittstemperatur in den österreichischen Bergen um fast zwei Grad erhöht.

250 neue Seen

Modelle des Weltklimarates IPCC sagen voraus, dass es in den Alpen gegen Ende des 21. Jahrhunderts nur noch 13 bis 20 Prozent der Gletscherfläche geben wird, die noch von 1971 bis 1990 vorhanden war. Da die österreichischen Alpen vergleichsweise niedrig sind, fällt der Effekt hier noch deutlicher aus.

Der Geomorphologe Jan-Christoph Otto vom Fachbereich für Geographie und Geologie der Universität Salzburg bringt es auf den Punkt: "Wenn wir in 30 Jahren noch ein paar Reste der großen Gletscher haben, können wir froh sein." Die Gebirgslandschaft wird ganz anders aussehen als heute – unter anderem, weil es mehr Seen geben wird.

Allein seit 1850 sind in Österreich 250 neue Seen entstanden, viele davon erst seit den 1980ern. So hat sich in den letzten zehn Jahren an der Pasterze ein mittlerweile 350.000 Quadratmeter großer Gletschersee entwickelt. Solche Gewässer können sich überall dort bilden, wo das fließende Gletschereis und das darin mitgeführte Gestein Becken im Fels ausgeschliffen haben, in denen sich das Schmelzwasser sammelt. Oder dort, wo Moränen und Eis einen natürlichen Damm bilden und den Abfluss des Wassers verhindern.

Ob und wie lange solche Gewässer bestehen bleiben, hängt unter anderem von ihrer Größe und Form ab: Das Schmelzwasser lagert nämlich auch jede Menge Sediment in den Seen ab. Auf diese Weise können kleine neue Gewässer schon innerhalb weniger Jahre wieder aufgefüllt und damit verschwunden sein.

Hochgebirgsseen

In einem von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften finanzierten Projekt simulierten österreichische und Schweizer Forscher Stellen unter den jetzigen Gletschern in Österreich, an denen mit der Entstehung neuer Seen zu rechnen ist, und kamen auf 40 bis 60 potenzielle Kandidaten, wenn die Gletscher komplett abschmelzen. Die meisten davon dürften auf über 2900 Meter Seehöhe liegen und in den Ötztaler Alpen und rund um den Großglockner und den Großvenediger entstehen.

Wie schon bestehende Gletscherseen werden sie Konfliktpotenzial bergen: Einerseits können sie als Wasser- und Energiespeicher dienen und eine auch touristisch interessante Bereicherung der Landschaft darstellen; andererseits können von ihnen Gefahren ausgehen, vor allem im Fall eines Seeausbruchs. Dabei durchbricht ein Gletschersee infolge von Erosion, Lawinen, Erdrutschen oder dergleichen abrupt seinen natürlichen Damm oder überflutet ihn. Dabei entstehen extreme Flutwellen, die noch dutzende Kilometer tiefer im Tal verheerende Schäden anrichten können.

Derzeit ist die Gefahr solcher Ereignisse in Österreich laut Jan-Christoph Otto gering, doch durch häufigeren Starkregen, auftauenden Permafrostboden und zunehmende Felsstürze könnte sie in Zukunft größer werden.

Der Seebachsee im Obersulzbachtal ist ein klarer Gebirgssee, ohne Kontakt zum Gletscher.
Foto: Jan-Christoph Otto

Neu entstehende Seen bieten jedoch auch die Gelegenheit, die Besiedlung dieser Gewässer gewissermaßen live zu beobachten. Diese hängt von den jeweiligen Umweltbedingungen ab, und diese wiederum davon, wie stark der See noch mit seinem Gletscher verbunden ist.

Ganz früh in ihrer Entwicklung ist das Wasser von Gletscherseen milchig-grau. Das liegt daran, dass es große Mengen winziger anorganischer Partikel enthält, die mit dem Schmelzwasser aus dem Gletscher ausgetragen werden, die sogenannte Gletschermilch.

Je mehr der See den Kontakt zum Gletscher verliert, desto geringer wird der Anteil dieser Teilchen und desto klarer sein Wasser – bis wir schließlich beim kristallklaren, blauen Urbild des Hochgebirgssees sind.

Gletschermilchverstopfung

Ruben Sommaruga und Barbara Tartarotti vom Department für Ökologie der Universität Innsbruck untersuchen seit rund 15 Jahren die Planktonzusammensetzung in den Tiroler Faselfadseen, einer Gruppe von sechs Seen, die teilweise erst in den letzten 40 bis 50 Jahren entstanden sind und alle Stufen von trüb bis klar aufweisen. "Plankton ist die Grundlage von allen aquatischen Nahrungsnetzen", sagt Tartarotti, "aber in den Gletscherseen ist es bisher wenig untersucht."

Wie sich herausstellte, ist die Gletschermilch vor allem für sogenannte Filtrierer ein massives Problem: "Das sind Tiere, die sich von Nahrungspartikeln ernähren, die sie aus dem Wasser herausfiltern, wie etwa Wasserflöhe", sagt Tartarotti. "An den anorganischen Partikeln haftet wenig Essbares, und wenn sie sie einstrudeln, haben sie den Darm voll unverdaulichem Material."

In trüben Seen fanden die Forscher deshalb nur ganz einfache Nahrungsnetze aus vorwiegend Bakterien, Viren und ein paar Algen. Erst mit klarerem Wasser stellen sich auch mehr Algenarten ein, außerdem Rädertiere und Ruderfußkrebse, während Wasserflöhe erst in ganz klaren Seen vorkommen.

Anpassung an UV-Einstrahlung

Auch klare Seen sind jedoch nicht ohne Herausforderungen für das Plankton, selbst wenn sie, wie die Faselfadseen, keine Fische enthalten: Vor allem die intensive UV-Einstrahlung während des Sommers stellt eine Gefahr dar. Die Innsbrucker Wissenschafter untersuchten an einer Hüpferling-Art, wie die winzigen Krebstiere Zellschäden durch UV-Strahlung vermeiden, und fanden eine Kombination aus Verhalten und Physiologie.

Während sie in trüben Seen auch im Sommer tagsüber in jeder Wassertiefe zu finden sind, kommen sie in ganz klaren Seen zu dieser Zeit nur in den tiefsten Schichten vor, wo das Licht deutlich an Intensität verliert. Außerdem lagern sie in diesen Seen große Mengen von speziellen Aminosäuren in ihrem Gewebe ein, die als UV-Schutz wirken. Diese nehmen sie über die Algen auf, von denen sie sich ernähren.

Noch lässt sich jedoch nicht genau abschätzen, was solch ausgefeilte Anpassungsmechanismen bewirken – und wie sich das Leben in künftigen alpinen Seenlandschaften gestalten wird. (Susanne Strnadl, 13.11.2021)