Dem Vernehmen nach arbeitet Sebastian Kurz an seinem Comeback. Er sollte es lassen. Oder jemand sollte ihm klarmachen, dass es vorbei ist. Denn er war kein guter Kanzler und er wird auch keiner mehr. Nicht nur wegen der staatsanwaltlichen Untersuchungen. Kurz ist kein guter Manager in einer Krisenzeit.

Allerdings führt die nun von Alexander Schallenberg geleitete Regierung mitsamt etlichen Landeshauptleuten den Murks von Kurz in Sachen Corona fort. Sie sollten dringend damit aufhören.

Kurz hat zunächst die ÖVP aus einem tiefen Tal gerettet. Aber er hat für das Land nichts daraus gemacht. Seine "Strukturreformen" in vier Jahren waren rein machtpolitisch motiviert, wie der Umbau der Sozialversicherungen, oder reine Symbolpolitik, wie der "Kampf gegen den politischen Islam". Die einzige richtige Entscheidung war, nach dem Lockdown das Land mit billigem Geld zu fluten. Aber das taten alle in Europa.

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und Altbundeskanzler Sebastian Kurz bei einem Pressetermin im September.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

In der Corona-Krise hatte er keinen stringenten Plan: zuerst autoritär auftreten (Lockdown eins), dann sinnlose Übersprungshandlungen (Israel-Reise, Sputnik-Phantom, Massentest zu Weihnachten), dann ab Frühsommer dieses Jahres Zügel schleifen lassen, weil "Pandemie gemeistert". Gleichzeitig warnten alle Experten, dass mit einer großen Welle im Herbst zu rechnen sei, dass die Impfrate viel zu niedrig sei. Aber Kurz wollte die Impfgegner und -skeptiker nicht verärgern, er wollte die Wahl in Oberösterreich nicht stören und wählte den populistischen Weg. Wie so oft. Zum zweiten Mal wurde ein Sommer verschlafen. Mit dem erzwungenen Rücktritt von Kurz Anfang Oktober war die vierte Welle bereits voll im Anlaufen.

Allerdings war Kurz schon vorher nicht allein gewesen. Die ÖVP, insbesondere die Landeshauptleute, aber auch die Grünen, machten mit beim großen Corona-Selbstbetrug. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein verschwendete wichtige Energie mit sinnloser Showpolitik wie phonetisch unbeholfen abgelesene Impfaufforderungen in Migrantensprachen oder das Gesprächsangebot an den Impf-Troll Kickl. Der Stufenplan, den die Nach-Kurz-Regierung präsentierte, war zu kompliziert und kam vor allem zu spät.

Von der Illusion lösen

Wie kann man so wenig lernfähig sein? Eine, nicht die einzige, Erklärung liegt natürlich in dem populistischen Show-, Inszenierungs- und Message-Control-Stil, den Kurz nicht erfunden, aber zur Perfektion getrieben hat. Weil er anfangs erfolgreich war, haben ihn auch andere kopiert.

In der Krise besteht Leadership darin, dass man den Leuten auch unangenehme Entscheidungen zumutet. Wenn man dabei klar und überzeugend ist, dann wird auch das akzeptiert. Der beinahe Einzige, der das derzeit vormacht, ist der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig.

Was sollte die Regierung jetzt tun? Nicht so einfach. Die ÖVP muss sich von der Illusion lösen, dass Kurz noch die Antwort auf irgendetwas ist. In vier Jahren drei Regierungen gesprengt und selbst zweimal aus dem Kanzleramt katapultiert – kein Ausweis für eine zukunftsweisende Führungspersönlichkeit. Wenn u. a. Schallenberg das nicht bald realisiert, ist ihm nicht zu helfen. Auf alle Fälle bietet sich an, dass die Regierung jetzt wirklich versucht, "die Pandemie zu meistern". Das erfordert eine Abkehr von der bisherigen zögerlichen, mutlosen Politik. Und personelle Erneuerung. Die ÖVP muss diverse intellektuelle Leichtgewichte, die aber in Wirklichkeit Ballast sind, abwerfen.

Die Grünen müssen sich überlegen, wie man Mückstein zu mehr Entschiedenheit zwingt. Und selbstverständlich müssen sie in den nächsten Wochen und Monaten klären, ob es überhaupt mit der ÖVP weitergeht. Dass es mit Kurz und seiner Art der Politik nicht weitergeht, haben sie klugerweise schon vor einem Monat erkannt. Das tiefe Übel der von Kurz perfektionierten populistischen Pseudopolitik mit infantil-bösartigen Chats im Hintergrund war und ist, dass man glaubt, auf einen staatsmännischen Grundkonsens verzichten zu können. Den kann man wieder finden, so viel Substanz ist in Österreich noch da. (Hans Rauscher, 10.11.2021)