Die Situation in den Intensivstationen spitzt sich zu. Ein kurzer Lockdown würde helfen, sagen Mediziner.

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Mit österreichweit 11.398 Neuinfektionen gab es am Mittwoch einen neuen Rekordwert. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) nimmt die Zahlen zum Anlass, die Bundesländer Oberösterreich und Salzburg zu einem Krisengipfel einzuladen. Er findet noch am Mittwochnachmittag statt. Die beiden Bundesländer sind derzeit, was die Pandemie betrifft, die Sorgenkinder Österreichs. In beiden liegt die Sieben-Tage-Inzidenz schon rund bei 1.000. Daraus ergibt sich eine steigende Spitalsbelegung, und auch die Zahl jener Menschen, die wegen einer Corona-Infektion auf einer Intensivstation behandelt werden müssen, nimmt zu.

Mückstein sagte zu Mittag beim Ministerrat, dass er den Gesprächen nicht vorgreifen wolle. Er habe aber kein Verständnis dafür, wenn am Wochenende nicht oder zu wenig geimpft werde. Es liege in der Verantwortung der Bundesländer, die Impfstoffe abzurufen und ausreichend lagernd zu haben. Österreich habe genug zur Verfügung.

"Wir müssen rasch, entschlossen und umfassend handeln", sagte Mückstein. Einen Lockdown schloss er nicht kategorisch aus: "In einer Pandemie können wir gar nichts ausschließen." Er appellierte an die Bevölkerung, dass jeder seinen Beitrag leisten solle. Es gehe darum, die Kontakte insgesamt um 30 bis 35 Prozent zu senken. Man solle aufs Händeschütteln verzichten und sich Gedanken machen, ob es notwendig sei, Partys zu besuchen. Personen im Umfeld solle man motivieren, impfen zu gehen beziehungsweise sie an den dritten Stich erinnern.

"Atempause für Spitäler"

Dramatisch beschreibt Richard Greil, Primararzt und Klinikvorstand am Uniklinikum in Salzburg, die Situation. Man sei bereits von vornherein mit einem Pflegemangel konfrontiert, darauf "pfropft sich die Covid-Situation auf", führte er am Dienstagabend in der "ZiB 2" aus. Die vierte Welle stelle das Krankenhauspersonal vor eine viel größere Herausforderung als die dritte Welle. Denn in der Vergangenheit habe man durch Lockdowns einen Bruch des exponentiellen Wachstums und damit eine beginnende Stabilisierung erreichen können.

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Derzeit befinde man sich nach wie vor in einer exponentiellen Wachstumsphase und bekommen jetzt erst die Patienten ins Krankenhaus, die vor sieben bis zehn Tagen erkrankt sind. Ein Ende des Patientenanstiegs ist laut Greil derzeit nicht in unmittelbarer Sicht.

Höhere Durchimpfung wirkt sich erst später aus

Zwar seien die jetzt gesetzten Maßnahmen, Stichwort 2G-Regel, "absolut richtig", aber es dauere viel zu lange, bis man Auswirkungen spüren werde. "Wir brauchen daher eine Atempause für die Spitäler." Ansonsten könne man die "Anflutung" von Patientinnen und Patienten nicht kompensieren. Bei Menschen, die jetzt geimpft werden, dauere es vier bis sechs Wochen, bis ein Impfschutz besteht. Überhaupt brauche man mindestens vier Monate, bis alle durchgeimpft sind. Das sei viel zu spät, um die jetzige Welle zu brechen. "Das ist hochgradig sinnvoll und wirkungsvoll für die Vermeidung weiterer Wellen."

Die jetzt notwendige "Atempause" könne nur durch Kontaktreduktion entstehen. Auch die Geimpften müssten betroffen sein, so Greil: "Sie können selber die Infektion weitergeben und sind selber infektionsgefährdet."

Zum jetzigen Zeitpunkt sei reiner Pragmatismus gefordert, Greil will deshalb auch nicht das Wort "Lockdown" in den Mund nehmen, weil es "automatisch zu Oppositionen" führe. Er müsse sehr deutlich ausfallen, damit die Menschen schnell die Wirksamkeit dieser Maßnahme erkennen und sie mittragen.

Lockdown in Oberösterreich nicht ausgeschlossen

Oberösterreichs Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander sieht derzeit einen Lockdown "noch nicht in Griffweite". Im Ö1-"Morgenjournal" pochte sie darauf, dass bestehende Maßnahmen nun umgesetzt werden. Sie baut darauf, dass sich viele in Oberösterreich noch impfen lassen. Völlig vom Tisch wischt Haberlander einen Lockdown allerdings nicht: "Ich habe gelernt, dass man in dieser Pandemie nichts ausschließen kann, zu keinem Zeitpunkt."

Im Pandemiemanagement ihres Bundesland sieht sie keine Fehler, etwa wegen der Konzentration auf den Landtagswahlkampf. Man sei ab dem 20. Oktober mit einer "hohen Dynamik" konfrontiert worden. Die Test- und Impfangebote seien nun erweitert worden. Oberstes Ziel müsse nun sein, für eine Stabilisierung in den Krankenhäusern zu sorgen, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet werde.

3.424 Neuinfektionen allein in Oberösterreich

In Oberösterreich, dem Impfschlusslicht in Österreich, wurde am Mittwoch die neue Rekordmarke von gleich 3.424 Corona-Neuinfektionen bekanntgegeben. Das sind um über 600 Fälle mehr als beim bisherigen Rekordwert, der erst am 6. November erreicht wurde.

Immer dramatischer wird die Situation in den Spitälern: Am Mittwoch betrug das Plus auf den Corona-Intensivstationen weitere sieben Personen. Damit benötigen bereits 86 Patientinnen und Patienten eine intensivmedizinische Betreuung. Auf den Normalstationen liegen 432 Personen – um 17 mehr als tags zuvor. Erst am Dienstag hat das Land bekanntgegeben, die für Covid-Fälle reservierten Normalbetten von 500 auf 600 aufzurüsten – auf Kosten der Regelversorgung von anderen Erkrankungen. Bleibt es bei diesem Wachstum, müssen bald weitere Eskalationsstufen vorgezogen werden. Weitere fünf Personen sind an oder mit Covid-19 verstorben.

Bei der Sieben-Tage-Inzidenz hat Oberösterreich am Dienstag als erstes Bundesland die 1.000er-Marke durchbrochen. Die Bezirke Vöcklabruck (1.663) und Braunau (1.450) ragen hervor. (krud, rwh, 10.11.2021)