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Nur ein Stacheldrahtzaun trennt die Geflüchteten auf der belarussischen Seite von den Soldaten auf der polnischen Seite der Grenze.

Foto: Reuters

Es war eine unruhige Nacht – das Fazit von Polens Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak beschrieb die Lage im Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus (Weißrussland) am Mittwoch recht treffend. In der Dunkelheit hatten zwei größere Gruppen von Flüchtlingen die Grenzbefestigungen nahe den Orten Krynki und Białowieża zerstört und waren in Polen eingesickert. Die meisten wurden schnell gefasst und zurück nach Belarus getrieben.

Anderen gelang es zunächst, im Grenzgebiet unterzutauchen. Erst nach Stunden vermeldete die Polizei, dass alle Grenzverletzer festgenommen worden seien. Ob diese ebenfalls ins Nachbarland abgeschoben wurden, geht aus den Angaben nicht hervor. Polen wirft Belarus vor, die Menschen einzuschüchtern. Angeblich wurde von belarussischer Seite aus sogar geschossen.

Der belarussische Grenzschutz berichtet, dass im Flüchtlingslager an der Grenze vier verletzte Kurden aufgetaucht seien, die schon auf polnischem Gebiet festgenommen und dann wieder über die Grenze getrieben worden seien, obwohl sie Asyl beantragt hätten. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR erhält weiter keinen Zugang zu den Migranten auf polnischer Seite.

Insgesamt halten sich derzeit an der Grenze schätzungsweise gut 4000 Migrantinnen und Migranten auf, die Richtung Europa wollen. Die meisten geben als Ziel Deutschland an. Die humanitäre Situation in den Lagern ist schlecht. Es fehlt an Proviant und Wasser. Die Geflüchteten sind für die niedrigen Temperaturen nur unzureichend bekleidet.

Minsk warnt vor Krieg

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko wies derweil alle Vorwürfe zurück, die Migrationskrise künstlich geschürt zu haben. Er habe gar nicht genug Geld, die Flüchtlinge anzulocken, aber er habe eben wegen der Sanktionen auch kein Geld mehr, sie zurückzuhalten, sagte er.

Gleichzeitig kritisierte er das jüngste Zusammenziehen der polnischen Sicherheitskräfte scharf: Mit Leopard-Panzern gegen Migranten zu kämpfen, sei irrsinnig. "Es ist klar, dass es sich um ein Militärmanöver oder eine Erpressung handelt", vermutete er Vorbereitungen für eine militärische Provokation.

Dies wäre allerdings "Selbstmord", warnte er. Belarus werde sich zwar so schnell nicht provozieren lassen, aber auch nicht klein beigeben. Im schlimmsten Fall werde somit die Atommacht Russland in den Konflikt hineingezogen.

Die Hoffnung auf ein Abflauen der Fluchtbewegungen zerstörte Lukaschenko: Es werde weitergehen, da sich gerade große Menschenmengen aus Afghanistan in Bewegung setzten. Dies seien Menschen, die von den USA bei ihrer Flucht aus dem Land im Stich gelassen worden seien. Der Versuch, diese Personen nun in Zentralasien anzusiedeln, werde scheitern, sagte der belarussische Autokrat.

Weil die Zahl der Migranten in Belarus zuletzt weiter gestiegen ist, haben sich die EU-Staaten am Mittwoch auf ein neues Sanktionsregime verständigt. Das gaben Diplomaten nach einer Sitzung der ständigen Vertreter der Regierungen bekannt. Beim EU-Außenministertreffen am Montag sollen die Maßnahmen formell beschlossen werden. Ins Visier dürften auch Fluggesellschaften kommen, die Migranten aus Nahost zur Weiterreise in die EU nach Belarus fliegen.

EU soll Flüge blockieren

Zuvor hatte Polens Premier Mateusz Morawiecki bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit EU-Ratspräsident Charles Michel in Warschau dem Nachbarland Belarus Staatsterrorismus vorgeworfen und die EU aufgefordert, Flüge aus dem Nahen Osten nach Belarus zu blockieren. Eine Ausweitung der Sanktionen gegen das Land kündigte am Abend auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen an.

Österreichs Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) unterstützte die Forderung nach einer Verschärfung der Sanktionen ebenfalls und sprach sich in einem Telefonat mit seinem polnischen Amtskollegen Mariusz Kamiński auch für finanzielle Hilfen zum Bau eines Grenzzauns aus. Die EU dürfe sich nicht von Lukaschenko erpressen lassen, so Nehammer.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel bat Russlands Präsident Wladimir Putin, auf seinen Verbündeten in Minsk einzuwirken. In einem Telefonat mit dem Kremlchef sagte sie, "dass die Instrumentalisierung von Migranten gegen die Europäische Union durch das belarussische Regime unmenschlich und vollkommen inakzeptabel" sei.

Bisher steht der Kreml rhetorisch klar hinter Lukaschenko. Russlands Außenminister Sergej Lawrow versprach, Minsk dabei zu unterstützen, der angeblichen negativen Imagekampagne entgegenzuwirken. Die Ursachen der Krise verorten Moskau und Minsk im Westen. (André Ballin, Gerald Schubert, 10.11.2021)