Eine im Sommer in einer Wiener Wohnung aufgetauchte Python.

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Eva Persy, Expertin für Tierschutz.

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STANDARD: Welches ist das meistgehasste Tier Wiens, ist es die Taube?

Persy: Wahrscheinlich ist die Taube das polarisierendste Tier. Es ist auch für uns ein emotionales Thema. Wenn wir dazu aufrufen, Tauben nicht zu füttern, tun sich viele schwer damit. Manche machen sich Sorgen um sie, wollen sie füttern, ihnen eine Unterkunft geben – gerade während Corona. Andere finden sie extrem grausig und wollen sie nicht hier haben. Wir haben fast zehn Jahre ein Taubenschlag-Projekt betrieben, das wir letztes Jahr beendet haben. Es stellte sich heraus: Sobald man Tauben eine Behausung bietet, werden diese freien Plätze auf der Straße sofort wieder besetzt. Sie vermehren sich rasant.

STANDARD: Der oft problematische Umgang des Menschen mit Tieren fördert die Entstehung von Pandemien. Hat Corona hier etwas verändert?

Persy: Nicht zum Besseren. Durch die Beschränkungen, weil Menschen einsamer waren und mehr Zeit hatten, haben sich viele Tiere angeschafft, teils bei dubiosen oder illegalen Welpenanbietern aus dem Osten. Die wollten dann viele wieder loswerden, melden Tierheime. Einige bieten Welpen online an, die sie vor die Tür liefern. Nur handelt sich bei diesen Tieren aus angeblich handverlesenen Familien um Massenvermehrungen unter fürchterlichsten Bedingungen. Dementsprechend krank sind die Tiere auch.

STANDARD: Wie sehr ist der Verlust von Lebensraum ein Problem?

Persy: Die Natur schleicht immer mehr in die urbanen Zentren hinein. Wien aber ist mit seinem hohen Grünanteil gut aufgestellt. Seit drei Jahren gibt es den Wildtierservice der Forstbetriebe: eine Hotline, wo man verletzte, in Not geratene Wildtiere melden kann. Das ist eine tolle Errungenschaft. Aber es wird oft viel zu schnell geglaubt, dass Wildtiere gerettet werden müssen. Nicht jeder Igel muss ins Warme gebracht werden, nur weil der Winter kommt. Da brauchen Stadtmenschen manchmal doch Beratung.

STANDARD: Was unterscheidet Tiere in der Großstadt von ihren Artgenossen in ländlichen Gebieten?

Persy: Auf dem Land bleiben die Bauernkatzen oft ein Problem. Durch die unkontrollierte Vermehrung entsteht Tierleid. Die Katzen werden zwar gefüttert, aber sie werden teilweise nicht kastriert, weil das mit Aufwand und Kosten verbunden ist. Alle Katzen mit Freigang müssen seit 2005 kastriert werden. Durch ein gesetzliches Schlupfloch gibt es Ausnahmen. Wiener Streunerkatzen, also Nachkommen verwilderter Hauskatzen, werden in ihrem Territorium eingefangen, von uns kastriert und wieder freigelassen. Einige verwechseln sie mit streunenden Hauskatzen. Dabei sind Streunerkatzen so scheu, die nimmt man im Alltag nicht wahr. Die wollen nicht in die warme Wohnung. Manche Menschen wollen das nicht wahrhaben.

STANDARD: Der Stadtmensch kann also ein wenig übergriffig sein?

Persy: Ja, das ist aber unterschiedlich. Tauben sind ein gutes Beispiel dafür: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Anzahl der Tauben mit dem Futterangebot korreliert. Eine Taube hat Flügel, um ganz Wien zu überfliegen, braucht sie 15 Minuten. Sie kann sich jederzeit in die Luft erheben und im Umland Futter suchen. Das wäre auch im Sinne der Tiere. Am Schwedenplatz sitzen Tauben und warten, weil sie gelernt haben, dass sie Junkfood bekommen. Sie halten sich dort stationär auf, weil sie sich ans Angebot angepasst haben. Dort koten sie hin und werden so inzwischen auch als Problem gesehen.

STANDARD: Ihre Stelle berät, macht aber auch Druck im Sinne der Tiere. Was verbuchen Sie als größte Erfolge?

Persy: Wir haben ein Verbot des Würgehalsbands erwirkt. Beim Stachelhalsband war die Sache klar, das ist Quälerei. Bei der Würgekette war es Auslegungssache. Auch das Verbot von Reptilienbörsen, die es in Deutschland noch immer gibt, geht auf uns zurück. Die Leute sind mit Schlangen oder Leguanen ohne die nötige Einrichtung oder das nötige Wissen nach Hause spaziert. Die waren dann oft erstaunt, dass die Schlange zehnmal so groß wurde oder die Ausrüstung teuer ist. Das Wissen darüber, wie man Reptilien richtig hält, wird unterschätzt. In Hund und Katze kann man sich eher hineinversetzen, zu denen hat man eine Beziehung. Das gelingt bei Reptilien nicht, ein Reptil hat kein Interesse an einem Menschen, das will nicht gestreichelt werden. Wir arbeiten deshalb derzeit an einem Sachkundenachweis, wie er auch im Wiener Regierungsprogramm steht.

STANDARD: Welches Tier bereitet Ihnen aktuell am meisten Sorgen?

Persy: Die Qualzucht bei diversen Tieren. Der Mops ist das Paradebeispiel: Der Hund hat keine Schnauze, er kämpft mit jedem Atemzug ums Überleben, besonders wenn es heiß ist. Oder die Faltohrkatze: Dass die Ohren nach vorne gekippt sind, kommt von einer schmerzhaften und unheilbaren Erbkrankheit, die zur Zerstörung des körpereigenen Knorpelgewebes führt. Da greifen die Behörden gleich ein. Nahezu jede gezüchtete Rasse hat irgendwelche Probleme. Auch kleine Hunde, die voll im Trend sind, haben ähnliche Probleme: die französische Bulldogge oder der Chihuahua. Die Leute informieren sich teilweise zu wenig, versteifen sich aber auf eine bestimmte Rasse. Sie wollen auf menschliche Schönheitsideale hin gezüchtete Tiere, die dann darunter leiden müssen und Schmerzen haben.

STANDARD: Wegen welchen Tieren erhalten Sie die meisten Anfragen?

Persy: Es geht sehr viel um Hunde. Letztlich aber auch, weil man mit denen hinausgeht auf die Straße, da sieht man mehr, etwa unversorgte Verletzungen. Meldungen über in Wohnungen gehaltene Tiere gibt es ja meist nur, wenn jemand im Umkreis von Familien oder Freunden etwas bekanntgibt. Wenn es heiß wird, kommen die Fiaker-Meldungen immer wieder. Gemeldet wird auch recht oft, wenn Katzen am Balkongeländer balancieren. In Österreich muss jeder, der eine Katze besitzt, dafür sorgen, dass die eigenen Fenster oder der Balkon absturzsicher sind. Ein anderer Teil unserer Arbeit sind Bewilligungsverfahren. Das Tierschutzgesetz schreibt vor, dass alle Veranstaltungen mit Tieren bewilligungspflichtig sind, beim Filmdreh zum Beispiel oder Esel in Weihnachtskrippen. Wir können schon bewirken, dass Dinge anders oder auch gar nicht gemacht werden. Es muss ja nicht unbedingt eine echte Krähe bei Theaterstücken im Käfig sein. Man arbeitet ansonsten ja auch mit Kulissen und zum Beispiel unechten Häusern.

STANDARD: In Wien leben 204 Schafe, 123 Ziegen, 83 Schweine und 70 Rinder. Wo leben die mehrheitlich? Kann sich jeder Schafe und Rinder in den Garten stellen?

Persy: Das sind landwirtschaftliche Nutztiere, die oft in Privathaltung oder auf Schaubauernhöfen wie jenem am Cobenzl leben. Sie sind meist nicht zum Verzehr da, sondern als Attraktion, als Liebhaberei und Hobbyhaltung. Hühnerhaltung ist gerade ein neuer Trend. Und ja, wenn alle Bestimmungen eingehalten werden, dann kann sie jeder im Garten halten. Zu beachten sind im städtischen Gebiet aber noch andere Vorschriften, die nichts mit Tierschutz zu tun haben. Bei Hühnern ist außerdem wichtig, den Stall vor Füchsen und Mardern zu schützen.

STANDARD: Was ist das meistgeliebte Tier Wiens?

Persy: Hunde sind vermutlich schon oft ein Menschenersatz für manche. Das nimmt leider auch Auswüchse an, wie man bei den im Hundewagen geschobenen Hunden sieht. Ein Hund kann noch so klein sein, der will trotzdem seine Beine benützen. Es ist manchmal nicht sehr im Sinne des Hundes, wenn er so vermenschlicht wird. (Anna Giulia Fink, 11.11.2021)