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Wussten Sie, dass in Ostdeutschland unter dem Namen "Atlas" an hochentwickelter Künstlicher Intelligenz und Robotertechnologie gearbeitet wurde? Ich auch nicht. Doch es ist die Prämisse, unter der die Ereignisse im Indiegame Industria (Singleplayer-Shooter, Windows, Steam) des Studios Bleakmill ihren Lauf nehmen. Im November 1989 setzt eine Kommunikationspanne der autoritär regierenden Staatspartei SED, verstärkt vor allem durch westdeutsche Berichterstattung, eine massive Ausreisewelle aus der DDR in Gang.

Dass das Ende des Sowjet-Satellitenstaates naht, wird auch dem Spieler in der Rolle der Forscherin Nora bewusst, nachdem sie von einem Anruf aus dem Schlaf gerissen wird. Und nicht nur das, ihr Teamkollege und Geliebter Walter Rebel ist auf einmal verschwunden. Bei der Suche im Gebäude des Atlas-Projekts stellt sich heraus, dass er beschlossen hat, seine Schöpfung – eine Art interdimensionale Zeitmaschine – auszuprobieren. Nicht willens, zurückgelassen zu werden, steigt man also selbst in die befremdliche Apparatur.

Und findet sich an einem unbekannten Ort zu einer unbekannten Zeit wieder. Erst ein Unbekannter, der einen per Funk erreicht, klärt auf. Man ist in der Geistermetropole Hakavik, die sich in Skandinavien in der fiktiven Region Nordvold befindet. Mit dem gleichnamigen Örtchen in Norwegen hat sie nichts gemein, zumal hier einst auch 800.000 Menschen gelebt haben.

Headup

Welcome to Hakavik

Hakavik präsentiert sich als eine Art Steampunk-Version einer Metropole nordischer Prägung, die für ihre Epoche dank der Erschließung einer mysteriösen Energiequelle deutlich voraus war. Verlassen ist sie, weil nach einer jahrzehntelangen Auseinandersetzung zwischen Mensch und Maschine die Roboter hier schließlich die Oberhand behielten. Es liegt nun an Nora, mehr über die Hintergründe zu erfahren, aus der Stadt zu entkommen und den geflohenen König Rosendal zu finden, der den Widerstand gegen die Maschinen angeführt hat.

Wenngleich Half-Life nicht viel mit Steampunk am Hut hat, versprüht Industria sehr schnell ähnliche "Vibes" wie die kultisch verehrte Shooter-Reihe von Valve. Vom Ostberliner Forschungszentrum bis hin zu den düsteren Fabrikshallen und von Robotertechnologie "überwucherten" Straßen von Hakavik weckt vieles entfernte Erinnerungen an die Abenteuer von Gordon Freeman.

Auch die Möglichkeit, Gegenstände hochzuheben, herumzutragen oder zu werfen, trägt natürlich dazu bei. Diese sind auch Teil mancher Rätsel, die man lösen muss, um weiter zu kommen. Das Leveldesign ist zwar atmosphärisch, aber auch recht "schlauchig". Vereinzelt gibt es Abzweigungen oder mehr oder weniger versteckte Abschnitte, in denen sich etwa Heiltränke, Munition oder Schallplatten finden lassen.

Bewacht wird das verlassene Hakavik von verschiedenen Arten von Robotern, die mitunter unterschiedliche Angriffsstrategien erfordern. Gefährlich werden sie, da die KI nicht besonders intelligent ist, allerdings nur in größerer Zahl oder wenn die Munition ausgeht. Und das kann, besonders wenn man vergisst, alle erdenklichen Kisten zu zertrümmern, auf die man stößt, häufig passieren. Der Tod ist kein großer Beinbruch, denn das Game speichert im einfacheren Modus regelmäßig automatisch und bietet zudem manuelle Speicherpunkte in Form von Schreibmaschinen, auf die man im schwereren Spielmodus auch angewiesen ist.

Zugabe erwünscht

Akustisch und grafisch kann Industria überzeugen und steht Produktionen großer Publisher selten nach. Insbesondere die Vertonung der Dialoge verdient großes Lob. Die Rätsel sind meist nett gestaltet, aber nicht sonderlich herausfordernd. Zudem wird trotz der Half-Life-esken Interaktionsmöglichkeiten das Potenzial für Physikrätsel leider kaum genutzt.

Spielerisch macht Industria dennoch Spaß, das Game lebt aber hauptsächlich von seiner Erzählung, die sich auch immer wieder in traumartigen Sequenzen in einer Bibliothek verlagert, sowie der liebevoll gestalteten Umgebung. Wenngleich ausgerechnet die Protagonistin ein weitgehend unbeschriebenes Blatt bleibt, werden Walter Rebel, König Rosendal und vor allem ihr Funkkontakt gut entwickelt.

Es ist jedoch auch ein recht kurzes Abenteuer. Geübte Spieler sehen die Endsequenz nach zwei bis 2,5 Stunden. Wer sich beim Suchen nach Verstecktem etwas mehr Mühe gibt, kann noch eine halbe Stunde draufschlagen. Wenngleich das Ende nicht explizit ein Cliffhanger ist, schreit die Erzählung förmlich nach einem Nachfolger. Verdient hätte dieses Half-Life 2.5 eine Fortsetzung auf jeden Fall. (gpi, 10.11.2021)