Zu Martini geht es der Gans aus Appetitgründen an den Kragen.

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Die Gans ausgerechnet als "Kopf des Tages" feiern zu wollen ist ein bisserl irreführend. Es ist ja nicht gerade der Kopf, weswegen dieser wunderbare Vogel so weithin gerühmt wurde und weiterhin wird. Sondern, im Gegenteil, der Leib. Die Gans, so lässt es sich auch sagen, schmeckt besser, als dass sie klug wäre. Als kopflastig gilt sie jedenfalls nicht. Als schmackhaft allerweil.

Dabei ist die Gans – Gansbären sind mitgemeint – dem Menschen seit jeher zugewachsen. Sie war eine der ersten gelungenen Domestizierungen. Die alten Ägypter schon verehrten sie, die alten Römer rühmten ihre Wachsamkeit. Angeblich hätte eine schnatternde Gänseherde sie im Jahr 387 vor Christi bewahrt vor der Eroberung durch die Gallier. So viel Köpfchen hatten sie also schon, die Gänse.

So viel, um zu durchschauen, dass der Mensch sie nicht wegen ihrer Klugheit streichelte, fütterte und vor dem Raubzeug wie dem Fuchs schützte, freilich nicht. Denn neben dem Köpfchen hat die Gans vor allem die eine Fähigkeit: schmackhaftestes Fett anzusetzen. Das ist ihr Erbe als Zugvogel.

Sie entstammt, sagen die einschlägigen Forscher, in der Hauptsache dem Stamm der Graugänse, die bis heute viele Tausende Kilometer fliegen müssen zwischen Sommer und Winter. Der Mensch tat ihr vorne schön, lockt sie bis heute mit Wohlschmeckendem, um die Wohlschmeckende zu bezirzen. Hinterrücks hat er es auf die Leber abgesehen. Und das, was sich zwischen Haut und Muskelfleisch abgelagert hat. Ganslfettn, Ganslgrammel, jawohl. Oder gar – horribile dictu, eh – libamáj zsírjában, wie die Ungarn sagen: Gänseleber im eigenen Fett.

Um so schmatzend über ein lebendes Geschöpf gutgewissenhaft reden zu können, bedarf es himmlischen Beistandes. Dafür eben ist der heilige Martin da. Der bescheidene pannonische Soldat wurde von schnatternden Gänsen verraten, als er sich vor dem Schicksal, Bischof von Tours zu werden, verstecken wollte. Man sagt, zur Strafe dafür werden sie nun – nicht nur, aber mit Vorliebe eben zu Martini – abgekragelt.

Bischof Martin litt unter der Erbsünde. Die Gans tut das gewissermaßen auch. Bis heute nennt man das Gegenstück zu ihrem Kopf "Bischof". Zu unser aller Gaumenschnalzen.

Aber darin erschöpft sich die Gans bei weitem nicht. Denn warum heißt es, wenn jemand was schreibt – und sei es nur ein "Kopf des Tages" über die Gans –, er nehme die Feder zur Hand? (Wolfgang Weisgram, 11.11.2021)