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PRO: Notarzt Mückstein gefragt

In vielen Aspekten erinnert die Explosion der Zahlen der Corona-Infizierten an die Abläufe vor einem Jahr. Im Oktober 2020 gab es Landtagswahlen in Wien, heuer in Oberösterreich. Beide Male überboten sich Parteien in Bund und Ländern im Wahlkampf im Wettbewerb dahingehend, wer die besseren Konzepte gegen die Pandemie habe, wer die "einzig richtigen" Maßnahmen gefordert oder abgelehnt hat.

Blöderweise wurde dabei übersehen, was sich – damals wie heute – in anderen Staaten schon Monate davor abgezeichnet hatte, woraus Österreich hätte lernen können: der entscheidende Moment entschlossenen Handelns.

Im Vorjahr zögerte die Regierung viel zu lange, die Dynamik der (zweiten) Infektionswelle etwa durch Schließung von Schulen und Geschäften oder das Verbot von Kulturveranstaltungen zu brechen. Erst als bei 10.000 Infektionen pro Tag das Spitalswesen zu kippen drohte, kam es dazu.

Jetzt ist es wieder so weit. Zwar ist die Gefahr, dass wieder Tausende in kurzer Zeit sterben, geringer, weil sechs von zehn Bürgern geimpft sind. Aber das mutierte Deltavirus ist viel ansteckender. Und es wird auch von Geimpften übertragen. 2G und Testen, Testen, Testen reichen nicht. Bei drei Millionen Ungeimpften ist das Risiko des Kollabierens von Spitälern hoch. Die Regierung muss rasch und hart zupacken, Lockdowns verhängen, Kontakte reduzieren. Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, praktischer Arzt, ist politisch als Notarzt gefordert. (Thomas Mayer, 11.11.2021)

KONTRA: Regional handeln

Die Lage ist ernst, kein Zweifel. Das Rekordhoch der Neuinfektionen lässt einen fassungslos zurück. Der Lockdown-Ruf ist die naheliegende Reaktion. Und doch wäre ein neuerliches österreichweites Schließen von Schulen, Kindergärten, Geschäften, Lokalen, Museen, Sport- und Freizeiteinrichtungen die falsche Entscheidung.

Denn diese Freizeittätigkeiten tun der allgemeinen Gesundheit enorm gut. Das gilt für alle, aber besonders für Jugendliche. Viele hatten mit psychischen Problemen zu kämpfen, weil der in diesem Alter enorm wichtige Kontakt zu Gleichaltrigen gefehlt hat. Die meisten haben sich erholt, aber Eltern befürchten einen Rückfall, wenn sich diese Situation wiederholt. Und auch für viele Erwachsene ist die psychische Belastung groß. Alleinerzieher, Singles, Ältere – sie alle sind betroffen.

Klar, strengere Maßnahmen braucht es, sonst kippt das Gesundheitssystem. Warum nicht eine 2G-plus-Regel einführen: Teilnahme am öffentlichen Leben nur noch für Geimpfte oder Genesene mit negativem PCR-Test. Das Argument, dass auch Geimpfte bei Infektion ansteckend sind, zählt nicht. Denn sie infizieren sich viel seltener und erkranken meist nicht schwer.

Die Ausbreitung des Virus ist wie ein Flächenbrand, er lodert dort, wo es viel Brennmaterial gibt. Und das sind nun einmal die Ungeimpften. Werden regionale Maßnahmen bis hin zum Teillockdown nötig sein? Mit ziemlicher Sicherheit. Aber sollen sie ganz Österreich treffen? Nein! (Pia Kruckenhauser, 11.11.2021)