Justizminister Zbigniew Ziobro gilt als Hardliner.

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Einmal im Jahr zeigt Polens Patriotismus seine hässliche Fratze. Ausgerechnet am 11. November, dem Unabhängigkeitstag, strömen aus dem ganzen Land Neofaschisten, Antisemiten, Nationalisten, Frauenhasser, Homophobe und politisch Ahnungslose, die es einfach nur einmal ordentlich krachen sehen wollen, in Polens Hauptstadt Warschau. Der 11. November ist ein staatlicher Feiertag, an dem an die Wiedergewinnung der Souveränität Polens erinnert wird.

In Westeuropa sind heute die drei Teilungen Polens in den Jahren 1772, 1793 und 1795 durch die Nachbarmächte Russland, Österreich-Ungarn und Preußen weitgehend unbekannt. Für die meisten Polen aber besteht das Trauma von anschließend 123 Jahren Unfreiheit bis heute fort. Umso wichtiger wäre es, jedes Jahr die 1918 wiedergewonnene Unabhängigkeit gemeinsam zu feiern.

Spur der Verwüstung

Stattdessen setzten auch in diesem Jahr die in Polen regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) alles daran, dass die berüchtigte Allpolnische Jugend und das antisemitische National-Radikale Lager (ONR) den Feiertag am 11. November gestalten dürfen. Da sie in den vergangenen Jahren stets eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatten und viele Polizisten und Unbeteiligte schwerverletzt ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, verbot Warschaus Stadtpräsident Rafał Trzaskowski von der oppositionellen Bürgerplattform (PO) den diesjährigen Marsch.

Der Verein des Unabhängigkeitsmarschs wollte sich mit dem Verbot nicht zufriedengeben und ging vor Gericht. Trzaskowski jedoch gewann den Prozess in allen drei Instanzen, also auch vor dem Obersten Gericht. Damit schien das Problem ausgestanden: Gewonnen hatten Trzaskowski und eine kleine antifaschistische Gruppe, die schon vor den Nationalisten ihre Demonstration angemeldet hatte: die "14 Frauen von der Brücke". Sie hatten 2020 versucht, den schon damals illegalen Marsch auf der Poniatowski-Brücke zu stoppen, waren aber mit Schlägen und Tritten der "Patrioten" abgedrängt worden.

Doch plötzlich meldete sich Jan Józef Kasprzyk zu Wort, der Chef des von der PiS kontrollierten Kriegsveteranenverbands. Er gab dem Marsch den formalen Status einer Staatsfeierlichkeit. Ganz im Sinne von Zbigniew Ziobro, dem Generalstaatsanwalt und gleichzeitig Justizminister in der PiS-Regierung und bislang lautesten Fürsprecher des Unabhängigkeitsmarschs, sprach Kasprzyk den Nationalisten das Recht zu, den nunmehrigen Staatsmarsch auszurichten.

Hilfe aus der Regierung

Zugleich sicherte der Veteranenchef den Teilnehmern den Schutz durch Polizei und Kriegsgendarmerie zu. Da zu den Märschen mehrere Zehntausend Leute aus ganz Polen und dem Ausland anreisen, muss das Aufgebot ziemlich groß sein. Es ist somit auch klar, dass hinter dem Veteranenchef mehrere PiS-Minister stehen müssen, da er selbst ja keine Verfügungsgewalt über Polizei und Militär hat.

Kurz nachdem bekannt geworden war, dass Trzaskowski und die Gerichte erneut von der PiS ausgebootet worden waren, postete der Verein des Unabhängigkeitsmarschs auf seinem Twitter-Account ein aufsehenerregendes Plakat. Unter dem Titel "Die Unabhängigkeit steht nicht zum Verkauf" prangt ein Verbot, den Unabhängigkeitstag zu feiern – im Stil der Okkupationszeit 1939 bis 1945: links auf Deutsch, rechts auf Polnisch. Die Unterschrift aber ist perfiderweise deutsch-russisch verfasst und steht damit für einen Verräter, der mit den deutschen und sowjetischen Okkupanten kollaborierte: "gez. der Oberbürgermeister Tschaskovsky". (Gabriele Lesser aus Warschau, 11.11.2021)