Straßenszene aus einem der vergangenen Lockdowns. Kommen jetzt wieder geschlossene Beisln, Kinos,Theater, Sportstätten auf uns zu, dürfen wir bald wieder nicht frei hinaus?

Foto: Heribert Corn

Ein neues Allzeithoch an Neuinfektionen wurde am Mittwoch vom Gesundheitsministerium gemeldet. Mit 11.398 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden ist das der höchste Wert seit Ausbruch der Coronavirus-Pandemie in Österreich. Der Sieben-Tage-Schnitt liegt damit mittlerweile bei 9110 Infektionen pro Tag, die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner bei rund 714.

Auch in den Spitälern ist die Lage angespannt: 2237 Menschen müssen wegen Covid-19 im Spital behandelt werden, auf Intensivstationen sind es 413 Patientinnen und Patienten. Ob der Situation an den Spitälern haben am Mittwoch auch die Bediensteten in Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen zu einer österreichweiten Protestaktion aufgerufen: Um fünf nach zwölf forderten sie für kurze Zeit vor ihren Betrieben die Regierung zum Handeln auf – unter anderem eine Ausbildungsreform, faire Löhne und mehr Personal; schließlich befinde sich Österreich seit bald zwei Jahren in der größten Gesundheitskrise seit Jahren.

Impfpflicht gefordert

Angesichts der neuerlichen Corona-Zuspitzung fordert der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger nun eine vom Bund zu beschließende Impfpflicht für medizinische und pädagogische Berufe. Dass dafür etwa in Spitälern weiter wie derzeit der jeweilige Träger zuständig sei, sei nicht mehr haltbar.

Diskutiert wird auch, welche neuen Maßnahmen bundesweit noch gesetzt werden könnten. Derzeit gilt in großen Bereichen des öffentlichen Lebens die 2G-Regel – man muss also geimpft oder genesen sein, um etwa zum Friseur oder ins Beisl oder Café zu kommen. Sollte die Grenze von 600 belegten Covid-Intensivbetten überschritten werden, sieht der Stufenplan der Regierung vor, dass es zu einem Lockdown für Ungeimpfte kommt. Doch bereits jetzt werden Stimmen laut, die für das Vorziehen der nächsten Stufe oder sogar einen generellen Lockdown, auch für Geimpfte und inklusive Kontaktbeschränkungen, plädieren.

Doch welche Szenarien gibt es für die kommenden Wochen? Und wie wirken sie sich aus?

Szenario 1: Es bleibt bei 2G

Laut dem deutschen Virologen Christian Drosten, der in seiner neuesten Podcast-Folge direkt auf Österreich Bezug nimmt, reicht 2G "als Akutmaßnahme im Moment nicht aus". Zwar würden ungeimpfte Personen durch diese Regelung zu der Entscheidung gezwungen, "ob sie weiter am gesellschaftlichen Leben teilhaben wollen oder eben nicht, weil sie sich nicht impfen lassen wollen".

Abhilfe in der aktuellen Lage bringe das jedoch nicht: "Wir haben eine echte Notfallsituation", sagt Drosten, bezogen auf Deutschland – obwohl man dort mit einer Inzidenz von 231 weit besser als in Österreich dasteht.

Der Simulationsforscher Niki Popper teilt Drostens Einschätzung des Ernsts der Lage. Konsequent angewandt, reduziere 2G, wie es in Österreich derzeit gilt, immerhin einen unkontrollierbaren Spread des Virus im Freizeitbereich, sagt er. denn Geimpfte haben laut Studien eine nach wie vor deutlich niedrigere Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, auch wenn sie gleichfalls nicht zu hindert Prozent geschützt sind – und die Ungeimpftem könnten keine Geimpften anstecken, so 2G tatsächlich eingehalten werde.

Das jedoch, so Popper, sei fraglich. Möglicherweise würden sich Menschen nun statt im Beisl wieder privat treffen – und sich untereinander anstecken. Allgemein würden Anti-Corona-Maßnahmen mit ihrer Umsetzung stehen oder fallen. Hier gebe es starke Mängel. "In manchen Bundesländern etwa ist die PCR-Test-Infrastruktur immer noch nicht ausreichend vorhanden", sagt Popper.

Szenario 2: Lockdown für Ungeimpfte

"Was genau wäre der Unterschied zur derzeitigen Situation mit 2G?", kontert Popper auf die Frage nach seiner Einschätzung der Entwicklung der Dinge für den Fall eines Lockdowns für Ungeimpfte. Zusätzlich zu Eintrittsverboten in Beisln, bei Kulturveranstaltungen und in Sportstätten dürften nicht immunisierte Menschen dann auch nicht mehr über ihre unmittelbaren Lebensbedürfnisse hinausgehend shoppen gehen. "Die Frage ist, ob da viele Menschen mitmachen."

Doch wer würde einen Lockdown für Ungeimpfte kontrollieren? In Wien verweist man diesbezüglich auf die Polizei: Diese sei für die Corona-Kontrollen zuständig, also auch hier. Doch müsste wohl der Handel mithelfen. Da der Aufwand, vor jedem Geschäft zu prüfen, ob die Person, die ins Geschäft will, geimpft oder genesen ist, so hoch ist, hat sich Wien im Sommer dazu entschieden, die FFP2-Masken-Pflicht auf alle auszudehnen.

Wichtiger, so Popper, sei der Appell an die Vernunft bei den dafür ansprechbaren Menschen. Um die massiven Fallzahlsteigerungen einzugrenzen, gelte es nun von neuem, soziale Kontakte einzuschränken – auf freiwilliger Basis, unter Ungeimpften wie unter Geimpften. Zwar würden die derzeit massiven Fallzahlzuwächse angesichts rund 60 Prozent Immuner über kurz oder lang ein Plateau erreichen, "aber wann das ist, können wir nicht vorhersagen, da spielen zu viele Komponenten hinein".

Szenario 3: Lockdown für alle

Eines sei klar, "um hohe Fallzahlen zu verringern, funktioniert ein totaler Lockdown immer", sagt Simulationsforscher Popper. Mindestens drei Wochen dauere es, bis es dann auch in den Spitälern zu einer Entlastung komme.

Doch diese Entwarnung wäre ohne gleichzeitige Booster-Impfungs-Offensive und merkliche Steigerung der Durchimpfungsquote nicht nachhaltig. "Wir haben den gesamten Winter noch vor uns. Spätestens im Jänner wären wir wieder mit einem massiven Infektionsplus konfrontiert. Vielleicht lernen wir diesmal aus der Vergangenheit", sagt Popper. Sonst könnte sich das Szenario des vergangenen Jahres wiederholen, mit einem weiteren Lockdown.

Was allerdings käme auf die Wirtschaft im Falle eines neuerlichen Lockdowns zu? Aufschluss dazu geben Analysen des Forschungsinstituts Wifo. Dort wertet ein Team um Josef Baumgartner auf Basis diverser Daten die Wirtschaftsentwicklung Woche für Woche aus. Ein Lockdown wäre für die Wirtschaft dramatisch. So hat der erste Lockdown im Frühjahr 2020 dazu geführt, dass die Wirtschaftsleistung zeitweise im Wochenschnitt um 20 Prozent unter dem Wert im selben Zeitraum vor der Krise lag.

Beim zweiten Lockdown im November brach die Wirtschaftsleistung nur noch etwa halb so stark ein. Im dritten Lockdown im Jänner war das Minus dann wieder etwas stärker, aber immer noch weit weg von den dramatischen Frühjahrszahlen. Doch woran liegen diese Schwankungen? Zunächst dürften sich Unternehmen an neuen Bedingungen besser gewöhnt haben. Viele Gastronomen haben begonnen Takeaway anzubieten, im Handel gab es Click und Collect. Im Frühjahr 2020 stand die Bauwirtschaft zeitweise still, das geschah später nicht mehr. Auch das dämpfte den Effekt. Und: Die Menschen haben sich nach dem ersten Mal nicht mehr so stark an die Lockdowns gehalten, sagt Ökonom Baumgartner, auch das hatte einen Effekt. Und warum war der Einbruch im Jänner 2021 nochmal schlimmer als im November? Baumgartner sagt, dass im November schon eifrig Weihnachtseinkäufe erledigt wurden, mangels offener Geschäfte eben online, das haben dem Handel nochmal geholfen.

Dass der Einbruch im Falle eines Lockdowns nicht mehr so schlimm wird wie im Frühjahr 2020, darf natürlich niemanden täuschen: Für Gastronomie und Tourismus wäre eine behördliche Sperre mitten im Wintergeschäft fatal. Die beiden Wochen nach Weihnachten und Anfang Jänner, zählen zu den umsatzstärksten der Branche. Die Arbeitslosigkeit würde wieder sprunghaft steigen, zu Jahresbeginn war fast eine halbe Million Menschen ohne Job. Der Staat würde neben Hilfen auch wieder Milliarden für Kurzarbeit zur Verfügung stellen müssen. (Irene Brickner, András Szigetvari, Oona Kroisleitner, 11.11.2021)