Ob ein Lockdown für alle oder für Ungeimpfte oder ob überhaupt einer kommt, wird derzeit noch debattiert.

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Die Corona-Infektionen steigen derzeit rasant, das Gesundheitswesen ächzt unter der immer größer werdenden Belastung. Besonders Oberösterreich und Salzburg warten mit hohen Inzidenzen rund um die 1.000er-Marke auf. Die Neuinfektionen befanden sich jüngst mit fast 12.000 Ansteckungen auf einem Allzeithoch seit Ausbruch der Pandemie.

Viele erwarteten sich deshalb am Mittwoch die Verkündung konkreter Maßnahmen, um der Entwicklung gegenzusteuern. Denn Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) traf die Landeshauptmänner von Salzburg und Oberösterreich, Wilfried Haslauer und Thomas Stelzer (beide ÖVP), zu einem Krisengipfel via Videokonferenz. Doch beschlossen wurde vorerst nur, dass die Gespräche gemeinsam mit Experten und Expertinnen fortgesetzt werden sollen.

Verschiedene Möglichkeiten

Haslauer sorgte dann Mittwochabend noch mit einer bemerkenswerten Aussage für Aufsehen. So meinte der Salzburger Landeshauptmann, dass es den Virologen wohl am liebsten wäre, "wenn sich jeder einzelne Salzburger und Österreicher in ein Zimmer einsperrt, weil da kann er sich nicht anstecken und niemanden infizieren. Er wird halt dann leider an Depression sterben, verhungern oder verdursten." Eingangs fügte Haslauer noch den Zusatz an, dass er damit "ein bisschen übertreibe". Weiter führte er aus: "Wir können nicht nur die rein virologische Wahrheit umsetzen, sondern wir müssen schauen, dass insgesamt die Entwicklung die richtige ist. Und die richtige Entwicklung ist, die Möglichkeit des Impfstoffes auszunützen und die Menschen zu schützen."

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Bei Expertinnen und Experten, die die Politik seit nun fast eineinhalb Jahren Pandemiegeschehen beraten, stößt diese Aussage auf wenig Verständnis. "Mir wäre das nicht am liebsten, das ist natürlich Unsinn", sagt dazu etwa Virologin Dorothee von Laer von der Med-Uni Innsbruck im STANDARD-Gespräch. "Ich glaube, das Arsenal an möglichen Maßnahmen ist bekannt. Was wir bisher gemacht haben, hat nicht ausgereicht. Wenn die Zahlen nicht wirklich sinken, dann müssen eben weitere Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Dazu gehört auch eine Kontaktbeschränkung", meint von Laer. In welcher Form man das mache, sei unklar – etwa für alle oder nur für Ungeimpfte. Aber "in irgendeiner Form" müsse eine Kontaktbeschränkung kommen: "Wir brauchen rasch eine Indizenzkontrolle, da die Intensivstationen mit Verzögerung reagieren."

Die Wissenschaft verkünde jedenfalls nur Tatsachen, meint die Expertin in Hinblick auf Haslauers Aussagen. Welche Maßnahmen im Einzelnen getroffen werden, entscheide aber natürlich die Politik selbst und nicht die Virologen: "Eigentlich haben Virologen momentan gar nichts zu sagen, es ist ja bekannt, wie die Situation ist, wir haben in den letzten eineinhalb Jahren Pandemie ja viel gelernt. Jetzt muss die Politik entscheiden." Man müsse sich überlegen: "Wie viele Corona-Tote will man tolerieren, was ist den Mitarbeitern in den Intensivstationen und im Krankenhaus zuzumuten? Das ist eine gesellschaftliche Entscheidung. Ansonsten soll die Politik klar sagen: Wir wollen die Zahlen nicht senken, es sollen mehr Leute sterben, das haben wir mehrheitlich entschieden."

Auch Epidemiologe Hans-Peter Hutter kann das Gesagte nicht nachvollziehen. "Die Aussage ist völlig überzogen und entbehrt jeglicher Grundlage. Auch die Botschaft, die vermittelt wird, ist sowohl in Richtung Geimpfte als auch in Richtung Ungeimpfte falsch." Eine gelungene Krisenkommunikation sei das nicht.

Symptom

Unverständnis für Haslauers Aussage kommt zudem von Molekularbiologe Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie. "Das Ganze ist ein Symptom der Hilflosigkeit", sagte er im Interview mit Puls 4. Es handle sich um "Fake-News, dass wir Leute einsperren wollen. Es ist diffamierend und motivationszerstörend für alle Wissenschafter, die versuchen, die Pandemie in den Griff zu bekommen." Haslauer habe nach 20 Monaten Pandemie wohl zu wenig verstanden, Experten würden nur Daten aufbereiten und beratend tätig sein.

Was die zu ergreifenden Maßnahmen betrifft, herrscht in der Politik allerdings Uneinigkeit. Mückstein schlug vor, in Oberösterreich und Salzburg auf Stufe 5 des erst kürzlich vorgestellten Maßnahmenplans zu schalten, was einen Lockdown für Ungeimpfte bedeuten würde. Dort kann man sich das aber nicht so recht vorstellen. Zur Erinnerung: Bundesweit befinden wir uns in Stufe 4, was die 2G-Regel etwa in Lokalen und bei Dienstleistern bedeutet.

Kritik kam auch von der Vorsitzenden der SPÖ Oberösterreich, Birgit Gerstorfer: "Ich finde es befremdlich, dass sich ein Minister und zwei Landeshauptleute treffen, um Maßnahmen zu vereinbaren – und das Einzige, was herauskommt, ist, dass man sich wieder trifft", sagte sie im Interview mit der "Zeit im Bild 2". Was die Frage eines regionalen Lockdowns betrifft, sagte Gerstorfer: "Ich bin sicher, dass wir alles in die Wege leiten müssen, damit die Zahlen sinken." Wenn auch ein regionaler Lockdown notwendig sei, liege das in der Verantwortung von Landeshauptmann Stelzer. Ob es sich um einen Lockdown für alle oder nur Ungeimpfte handeln solle, wüssten "Experten besser".

Lockdown für alle?

Aus virologischer Sicht müsse man wohl über einen Lockdown für alle nachdenken, meint jedenfalls von Laer. Denn die Geimpften würden zwar nicht die Intensivstationen füllen, können das Virus aber weitergeben. Sinnvoll fände die Expertin, darauf zu setzen, die Impfquote bei den Älteren noch zu erhöhen: "Ich bin der Meinung, dass jeder über 60 einen Brief mit einem konkreten Impftermin bekommen sollte." Denn ungeimpfte Ältere seien im Falle einer Infektion ein größerer Faktor für das Gesundheitswesen als etwa 20-Jährige, die mehr für das epidemiologische Geschehen eine Rolle spielen.

Auch Hutter sieht keine Möglichkeit, dass man jetzt noch an der Reduzierung von Kontakten vorbeikommt. "Es geht jetzt einmal darum, gewisse Treffen zu vermeiden, zum Beispiel solche in Vereinen." Genauso wesentlich sei auch, rasch die Impfquote zu erhöhen. Die Personen, die bisher etwas dafür getan haben, die epidemiologische Lage zu verbessern – etwa indem sie sich geimpft haben –, müsse man bei künftigen Entscheidungen jedenfalls berücksichtigen. Für die anderen müssen Anreize geschaffen werden, damit dort Denkprozesse entstehen, vor allem etwa über Zugangsregeln.

Einen Lockdown für Ungeimpfte kann sich Hutter nicht vorstellen – sowohl aus gesellschaftlicher Perspektive als auch aus praktischer Sicht; nämlich bei der Frage, wer diesen kontrollieren sollte. Dass es überhaupt vielleicht wieder zu einem Lockdown kommen müsse, sei ein Wahnsinn und liege schlicht daran, "dass es so viele Leute gibt, die sich verdrehten Inhalten widmen und das auch ausleben. Das ist für mich nicht mehr erklärbar."

Derzeit sind laut Gesundheitsministerium knapp 65 Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft, was 73 Prozent der impfbaren Bevölkerung entspricht. In der Personengruppe zwischen 65 und 74 Jahren sind 85 Prozent geimpft, in der Gruppe der über 74-Jährigen knapp 90 Prozent. (Vanessa Gaigg, 11.11.2021)