Olaf Scholz muss es nun richten – sobald er im Amt ist, versteht sich.

Foto: EPA/CLEMENS BILAN

Ähnliche Szenen, wie sie am Donnerstag im Deutschen Bundestag zu beobachten waren, hatten sich in der Vorwoche schon beim G20-Gipfel in Rom abgespielt. Die geschäftsführende deutsche Regierungschefin Angela Merkel hatte den Kanzler in spe, Olaf Scholz, eng an ihrer Seite. Es gab viel zu besprechen, schließlich will Scholz in wenigen Wochen ins Kanzleramt einziehen. Als dann die Debatte über das neue Infektionsschutzgesetz anstand, trat auch nicht Merkel ans Rednerpult, sondern Scholz.

Die Ampel, bestehend aus SPD, Grünen und FDP, ist noch nicht im Regierungsamt. Sie tritt jetzt in die entscheidende Phase der Verhandlungen. Die 22 Arbeitsgruppen haben ihre Papiere abgegeben, ab jetzt beraten die Parteispitzen.

Doch obwohl sie noch keine Regierungsverantwortung hat, steht die Ampel wegen der stark steigenden Corona-Zahlen unter Handlungsdruck. Am Donnerstag meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) mehr als 50.000 Neuinfektionen – so viele wie noch nie an einem Tag.

Kleinerer Maßnahmenkatalog

Als erste Amtshandlung hat die Ampelkoalition im Bundestag daher einen Corona-Plan vorgelegt. Der sieht vor, die sogenannte epidemische Notlage nationaler Tragweite am 25. November auslaufen zu lassen. Diese Rechtsbasis für die bisherigen Corona-Beschränkungen soll ersetzt werden durch einen kleineren Katalog möglicher Maßnahmen, die die Länder ergreifen können.

Dieses Auslaufen aber erwähnte Scholz, der zum ersten Mal als Mehrheitsführer im Bundestag auftrat, nicht. Er sagte: "Wir müssen unser Land winterfest machen" und betonte: "Maskenpflicht, Hygieneregeln – all die Dinge, die wir schon kennen, werden auch in nächster Zeit erforderlich sein."

Die Pläne der Ampel sehen so aus: 3G-Regel am Arbeitsplatz, verpflichtende Tests für Pflegekräfte und Zuschläge für Kliniken. Zudem sollen Corona-Schnelltests für alle wieder kostenlos werden. Diese sind seit Oktober nicht mehr gratis. Eine Impfpflicht für Beschäftigte in der Pflege soll es hingegen nicht geben.

Kritik der Union

Das Auslaufen der epidemischen Notlage verteidigte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Er verwies darauf, dass ein großer Teil der Bevölkerung gegen Corona geimpft sei, und betonte: "Dieser flächendeckende Instrumentenkasten mit Lockdowns für die ganze Republik, mit faktischen Berufsverboten für Schausteller, mit Schließungen von Restaurants, den halten wir nicht mehr für verhältnismäßig."

Kritik kommt von der Union, die de facto schon in Opposition ist. Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagte über Scholz’ Rede: "Das war mehr eine Zustandsbeschreibung als eine kraftvolle politische Aussage." Die Union ist gegen das Auslaufen der epidemischen Lage, obwohl sich zuvor auch der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dafür ausgesprochen hatte.

So erklärt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt: "Die erste Ampelentscheidung riskiert bereits ein Corona-Chaos in Deutschland. Die epidemische Lage politisch zu beenden, ohne echte ausreichende Alternativen zu benennen, während das Hospitalisierungsgeschehen real steigt, ist ein Signal der Planlosigkeit." Einig hingegen sind sich Scholz und Merkel, dass es nächste Woche wieder einen Bund-Länder-Gipfel geben soll.

Steuereinnahmen steigen

Erfreut gab sich Scholz am Nachmittag, als er das Ergebnis der Steuerschätzung bekanntgab. Trotz Corona-Krise können Bund, Länder und Gemeinden in den kommenden Jahren mit deutlich mehr Steuereinnahmen rechnen als noch im Frühjahr vorhergesagt. Die Steuerschätzer rechnen, dass bis 2025 rund 179 Milliarden Euro mehr in die Kassen fließen. Die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP können für den Bund zwischen den Jahren 2021 bis 2025 mit insgesamt 71,7 Milliarden Euro mehr kalkulieren.

"Wir sind finanzpolitisch auf Kurs, es geht aufwärts", erklärte Scholz. Es seien "erfreuliche Zahlen". Allerdings müsse angesichts der Pandemie allen auch klar sein, "dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen". (Birgit Baumann aus Berlin, 11.11.2021)