Einmal großer Hintern, aber dünne Beine, bitte! Diesen Wunsch bekommen Fitnesstrainerinnen und Fitnesstrainer von ihren Kundinnen seit einiger Zeit zu hören. Einst war es die Hoffnung auf muskulöse Arme wie die von Michelle Obama oder das Sixpack von Chris Hemsworth – jetzt ist es der beachtlich pralle Hintern von Fitfluencerinnen wie Pamela Reif (acht Millionen Follower auf Instagram) oder Jen Selter (12,5 Millionen Follower), der auf verblüffend dünnen Beinchen thront und Leute zum Schwitzen motiviert.

Squats mit Widerstandsbändern und Übungen im Vierfüßlerstand oder in Bauchlage: So soll der Gluteus Maximus wachsen.
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Das gute alte Bauch-Beine-Po-Training hat ausgedient. "Grow your booty", versprechen Pamela Reif und Konsortinnen in ihren Youtube-Videos. Dafür machen sie Kniebeugen mit Widerstandsbändern und verrenken ihre Beine im Vierfüßlerstand oder in Bauchlage. Das Ziel: Den Gluteus maximus, einen der größten Muskeln im menschlichen Körper, sowie den Gluteus minimus und medius isoliert zu trainieren. Das Versprechen: So sollen nur am Hintern, aber nicht an den Schenkeln Muckis aufgebaut werden.

Das könnte nicht nur zum Problem beim Hosenkauf werden, auch sonst sehen viele darin ein weiteres unrealistisches Schönheitsideal, das jungen Menschen in sozialen Netzwerken serviert wird. Denn der menschliche Körper funktioniert nun mal so: Eine trainierte Gesäßmuskulatur gibt es nicht ohne die dazugehörigen trainierten Beine.

Form des Bodybuildings

Dass sich diese Muskelgruppe so isoliert bearbeiten lässt, wie auf Youtube versprochen, bezweifelt auch Heinz Kleinöder, Sportwissenschafter an der Deutschen Sporthochschule Köln. "Das ist eine spezielle Form des Bodybuildings", erklärt er den Hype. Bloß geht es dabei um ein einziges Körperteil.

Der Sportwissenschafter erklärt: Mit den Widerstandsbändern erzeugt man eine andere Form der Spannung auf die Muskulatur. Anfängerinnen und Anfänger, die die Übungen aus den Videos richtig und – wichtig! – in Slow Motion durchführen, bringen die Muskulatur so mit ausreichend Geduld tatsächlich zum Wachsen. Zumindest in begrenztem Ausmaß: "Der Gluteus hat ordentlich Power. Für ein maximales Wachstum muss man schon Gewichte dazunehmen", sagt Kleinöder und empfiehlt im Fitnesscenter die Hüftstreckmaschine.

Viele Frauen, erzählt die Wiener Personal Trainerin Daniela Prinz, hätten aber immer noch die – unbegründete – Angst, dass sie sich mit Krafttraining über Nacht in einen Muskelberg verwandeln. Dabei muss der Gluteus gefordert werden, damit er wächst: "Und mit 300 Kniebeugen mit Widerstandsband bekommt man keinen solchen Hintern", sagt sie mit Blick auf viele Fitfluencerinnen.

Hartes Training

Auch wenn es nicht zwingend die großen Gewichte braucht, sagt Ussy Doleh, Inhaber des Malu Sportclubs im ersten Bezirk in Wien. "Viele Fitfluencer posieren nur mit rosa Gummibändern, trainieren aber in Wahrheit hart."

Wie geht man es also an? Im ersten Schritt geht es darum, an realistischen Zielen zu arbeiten – und festzulegen, wie diese erreicht werden können. Klar ist: Wer den Insta-Körper wirklich will, muss hart trainieren. Übungen, die Daniela Prinz ihren Kundinnen in den Trainingsplan schreibt, sind beispielsweise Kreuzheben, Hip-Thrusts, Dead Lifts und Lunges, "und das nicht nur mit zehn, sondern mit 40, 60, 80 Kilo", sagt sie. All das ist für Ungeübte technisch nicht einfach. Auch weil sie erst lernen müssen, die Muskulatur richtig anzusteuern – und zwar mit niedrigen Gewichten, sagt Ussy Doleh. Erst wenn die Bewegungen stimmen, kann man die Gewichte nach oben schrauben. Sonst droht Überlastung.

Was viele beim Muskelaufbau außerdem unterschätzen, ist die Ernährung, die laut Daniela Prinz ganze 70 Prozent des Erfolgs ausmacht: "Der beste Trainingsplan hilft nicht, wenn die Ernährung nicht passt", sagt sie. Ihrer Erfahrung nach essen besonders Frauen zu wenig, um Muskeln aufzubauen. Die Ernährungsumstellung hin zu mehr Kalorien sei für viele eine Herausforderung. Nicht zuletzt spielt auch die Genetik eine wichtige Rolle dabei, wie der Körper auf das Krafttraining reagiert.

In Form bleiben

Und dann gibt es noch eine weitere Herausforderung, zu der die meisten aber gar nicht erst vordringen: Ist das Gesäß nämlich irgendwann vielleicht wirklich so prall, wie man es sich vorgestellt hat, muss diese Form erst gehalten werden. Auch Bodybuilder nehmen in unterschiedlichen Phasen gezielt zu und wieder ab und schauen daher unterschiedlich durchtrainiert aus. Je nachdem, wann der nächste Wettkampf ansteht. Die permanente gute Form, in der sich Fitfluencerinnen auf ihren Fotos präsentieren, sorgt in der Branche daher für einige Verwunderung.

Auf Fotoshootings wird wohl gezielt hintrainiert. Und auf Instagram natürlich getrickst: nicht nur mit bestimmten Filter und Photoshop-Retusche, sondern auch, indem stundenlang an der richtigen Pose getüftelt wird, die den Hintern perfekt in Szene setzt.

Ja, das klingt mühsam, aber das Leben als Fitfluencerin ist eben ein – gutbezahlter – Fulltimejob. "Wer steht denn sonst um vier Uhr morgens auf, um zu trainieren?", sagt Ussy Doleh. "Diesen Drive haben nicht viele – weil er auch nicht notwendig ist." Schon gar nicht, wenn man auch noch Vollzeitjob und Privatleben schaukeln muss.

Mehr Kraft braucht es

Doch es ist nicht alles schlecht am Hintern-Hype: Hauptsache Bewegung, sagen die, die damit ihr Brot verdienen. Gut finden sie auch, dass sich Frauen zunehmend an schwere Gewichte trauen. Viele interessiert anfangs zwar nur das, was sie nach dem Training im Spiegel sehen – aber durch das Krafttraining werden Bauch- und Rückenmuskulatur gestärkt, und die Beinrückseite wird gedehnt. All das wirkt der Volkskrankheit Rückenschmerzen entgegen. Und Krafttraining ist ganz besonders für Frauen wichtig, weil es die Knochendichte erhöht und so der Alterserscheinung Osteoporose vorbeugt.

Das Wichtigste ist (wie fast immer): dranbleiben. "Am Ende kommen viele drauf: Ich will gar nicht so ausschauen wie die auf Instagram – ich bin mit der Hälfte schon zufrieden", sagt Ussy Doleh. "Und mit dem Leben ist das auch kompatibler."

Dann klappt es auch mit dem Hosenkauf. (Franziska Zoidl, 12.11.2021)