Niederösterreich hat im Jahr 2020 pro Tag genau 2,5 Hektar Grünland in Anspruch genommen. Das ist der Zielwert, der beim Bodenverbrauch erreicht werden sollte – allerdings im gesamten Bundesgebiet, und nicht nur im flächenmäßig größten Bundesland. In der Steiermark waren es laut Daten des Umweltbundesamts sogar 2,8 Hektar, in Oberösterreich 2,2.
Insgesamt waren es 10,7 Hektar, im Schnitt der letzten drei Jahre 11,5. Fast 15 Fußballplätze also. Um auf die 2,5 Hektar zu kommen, die sich die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) nun für 2030 vorgenommen hat, müssen die drei erwähnten Länder sowie auch Kärnten und das Burgenland ihren Bodenverbrauch auf ein Viertel bis ein Fünftel des Ist-Zustands reduzieren. In den westlichen Bundesländern Vorarlberg, Tirol und Salzburg scheint man hingegen schon sehr bedächtig mit der Fläche umzugehen – auch aus Platzgründen.
Insgesamt muss der Flächenfraß jedenfalls um 80 Prozent reduziert werden, das betonte Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) bei der Präsentation des Österreichischen Raumentwicklungskonzepts 2030 (ÖREK 2030).
Abgesehen davon, dass natürlich auch das 2,5-Hektar-Ziel noch nicht wirklich nachhaltig ist (denn dafür müsste der Bodenverbrauch auf Netto-Null gesenkt werden): Wie soll das gehen? Angesichts des Gerangels um die Aufteilung der Flächen, das schon bei der Präsentation des ÖREK vor einigen Tagen unter den Bundesländern losging, ahnt man: Es wird schwierig.
Stadtregionsfonds ...
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), auch Präsident des Städtebunds, betonte, dass man den Städten doch bitte in dieser Frage eine höhere Priorität einräumen möge als den ländlichen Regionen, denn das Bevölkerungswachstum spiele sich hauptsächlich in den Städten ab. Und "urbane Wohnformen wie Mehrgeschoßwohnbauten" würden für dieselbe Anzahl an Bewohnerinnen und Bewohnern nur ein Zehntel der Fläche von klassischen Einfamilienhaussiedlungen verbrauchen, argumentiert Ludwig (und hat damit natürlich recht, auch wenn es in Wien nicht nur mehrgeschoßige Wohnbauten gibt). Er forderte einen "Stadtregionsfonds", um "Bundesinvestitionen im Bereich umweltfreundlicher Mobilitätsinfrastruktur an stadtregionale Entwicklungskonzepte zu koppeln".
Schon zuvor schlug allerdings auch der Gemeindebund Pflöcke ein. Man verwahre sich dagegen, den Gemeinden die Flächenwidmungs- und Raumordnungskompetenzen wegzunehmen, heißt es in einem Positionspapier, das auf dem Gemeindetag Mitte September beschlossen wurde. Man wolle "weiterhin die Entwicklung des gemeinsamen Lebensraumes" selbst bestimmen – immerhin "in enger Abstimmung mit den Raumordnungsabteilungen der Länder".
Der Gemeindebund bekannte sich weiters zu einem "behutsamen" Umgang mit Grund und Boden, will aber auch differenziert wissen zwischen Verbrauch und Versiegelung. Ein Golfplatz würde auch unter "Flächenverbrauch" fallen, diese Fläche würde aber nicht versiegelt. Vom Bund fordern die Gemeinden "sinnvolle und geeignete Instrumente, um Brachflächen, Leerstände und ungenutztes Bauland zu mobilisieren" – und zwar noch bevor "strikte Obergrenzen zur Flächeninanspruchnahme" festgelegt werden.
Allerdings soll genau das nun getan werden: Im Rahmen einer neuen ÖREK-Partnerschaft namens "2,5 Hektar" sollen "Empfehlungen für konkrete Zielzahlen je Bundesland und differenzierte Vorgaben für die unterschiedlichen Raumtypen" erarbeitet werden. Und es soll auch daran gearbeitet werden, wie man bestehende, aber aufgelassene – also brachliegende – Strukturen besser nutzen kann. Genau daran wird nun im Klimaschutzministerium bereits gearbeitet. Im Zuge eines im kommenden Jahr startenden "Brachflächendialogs" sollen den Gemeinden Instrumente in die Hand gegeben werden, wie sie Brachflächen mobilisieren können.
... und Gemeindemilliarde
Was noch alles nötig wäre, das wurde bei einer Podiumsdiskussion anlässlich der Feierlichkeit für "50 Jahre ÖROK" vor einigen Tagen in Wien klar. Auf dem Podium saßen dort auch Gemeindevertreter wie Elisabeth Blanik, Bürgermeisterin von Lienz, und Martin Leonhardsberger, Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Mank und selbst studierter Raumplaner. Er berichtete von der Nachnutzung eines Molkereiareals, die die Gemeinde selbst in die Hand genommen hat. Die fünf Hektar große Brache wurde 2018 angekauft, gemeinsam mit Studierenden der Wiener Boku plante man die Neuentwicklung. Ab 2024 soll das Stadtteilprojekt mit 200 Wohnungen, Kindergarten und Geschäften umgesetzt werden. Die Studentenprojekte seien eine gute und günstige Möglichkeit, Know-how in die Gemeinde zu holen, sagte Leonhardsberger.
Blanik sagte, in ihrer Gemeinde gebe es auch Baulandüberhang sowie Brachen, die aber "unmöglich in die Bebauung zu bringen" seien, denn die Besitzer würden einfach abwarten, bis sie "automatisch mehr wert" werden. Und wegen der hohen Grundstückspreise sieht sie sich wiederum "außerstande, Gründe anzukaufen", das sei einfach nicht leistbar. "Als Kommune kann man da nichts machen."
Immerhin gebe es in Tirol nun die Möglichkeit, bei Neuwidmungen befristet zu widmen. "Aber Rückwidmungen wären eine gute Möglichkeit." Doch das übersteige die Kompetenzen der Gemeinden, hier seien die Länder und der Bund gefragt.
Dass die Gemeinden viel zu wenig Unterstützung bekommen, kritisierte auch Ulrike Böker, ehemalige Bürgermeisterin von Ottensheim bei Linz und Landtagsabgeordnete für die Grünen. Sie plädierte deshalb für eine "städtebauliche Entwicklungsmilliarde für die Gemeinden".
Der Raumordnungsexperte der TU Wien, Arthur Kanonier, trat auch vehement dafür ein, über Rückwidmungen doch "wenigstens einmal zu diskutieren". Ein Drittel des gewidmeten Baulands sei nicht bebaut. "Das wäre doch um Himmels willen ein Thema, das man angehen sollte." In der Schweiz habe man Rückwidmungen geschafft, das Geld für die Entschädigungen kommt aus abgeschöpften Widmungsgewinnen, erklärte der ehemalige Leiter von Espace Suisse, Lukas Bühlmann. "Diesen Mehrwertausgleich wenden wir schon seit 40 Jahren an." Je nach Kanton dürfen 20 bis 60 Prozent des Widmungsgewinns abgeschöpft werden.
Rückwidmungen andenken
In Österreich verbleiben Widmungsgewinne fast zu 100 Prozent beim Grundeigentümer. "Dass das keine geschickte Konstruktion ist, ist klar", meinte Kanonier. Und er wäre "froh, wenn diese Diskussion mal geführt werden würde". Der Aufteilungsschlüssel sei dann eher sekundär.
Auch Blanik forderte eine solche Diskussion ein. "Zeigt uns Möglichkeiten auf, wie wir entweder Widmungsgewinne abschöpfen können, oder rechtliche Möglichkeiten, wie wir rückwidmen können, ohne dass wir Entschädigungszahlungen leisten müssen", sagte sie, an Bund und Länder gerichtet. Sie wäre schon zufrieden, "wenn man uns in dieser Richtung mit Know-how versorgt". Die Gemeinden seien nicht handlungsfähig: "Wir sollen nicht mehr auf der grünen Wiese bauen, aber die Brachen können wir nicht mobilisieren – das heißt damit also Stillstand."
Und der Manker Bürgermeister Leonhardsberger verwendete eine hübsche Fußball-Allegorie, um dasselbe zu sagen: "Wir werden da als Bürgermeister aufs Feld geschickt und sollen die hehren Ziele der Raumplanung erfüllen, aber wir haben keine Fußballschuhe an. Uns fehlen also die Instrumente, um Bauland zu mobilisieren." (Martin Putschögl, 14.11.2021)