Als Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die Maskenproduktion im Mai 2020 besuchten, war wohl wenig von den problematischen Bedingungen zu sehen gewesen.

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Wien – Die Leiharbeitsverhältnisse beim Maskenproduzenten Hygiene Austria, aber teilweise auch im Postverteilzentrum Inzersdorf haben zur Ausbeutung der dort beschäftigten Migrantinnen und Migranten, großteils junge Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien, geführt. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universität Wien mit dem Titel "Als ich diese Halle betreten habe, war ich wieder im Irak", die von der Arbeiterkammer (AK) gefördert wurde. "Die Unternehmenserfolge beruhen nicht unwesentlich auf Leiharbeit", sagte Studienautorin Johanna Neuhauser bei der Präsentation der Studie am Freitag.

Neuhauser hat 15 Betroffene interviewt und berichtete von unzähligen Missständen. So hätten bei der Hygiene Austria Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter nach der Nachtschicht bleiben müssen, wenn nicht genug Kolleginnen oder Kollegen für die Frühschicht gekommen seien. Teilweise seien Schichten kurzfristig via Whatsapp eingeteilt worden. Weder bei der Post noch bei der Hygiene Austria sei Erschöpfung als Grund für eine kurze Pause akzeptiert worden.

Mitarbeiter verlor Teil eines Fingers

Bei der Hygiene Austria seien Maschinen schneller gestellt worden und Sicherheitsmaßnahmen ausgeschaltet worden. Ein Mitarbeiter schnitt sich einen Teil seines Fingers ab, berichtete die Studienautorin. Die Befragten schilderten, dass sie sich wie Sklaven oder Tiere behandelt fühlten.

Viele fielen um Überstunden und Teile ihres Geldes um. Neuhauser sagte, auf Basis der von Hygiene Austria an die Leiharbeitsfirmen geleisteten Zahlungen sei eine korrekte Arbeitskräfteüberlassung nicht möglich gewesen. Sie zitierte einen Betroffenen, der sagte, er habe, wenn er die Firma betrat, das Gefühl gehabt, wieder im Irak zu sein und nicht in Österreich.

"Präsentismus" führte zu Corona-Cluster

Die prekären Arbeitsverhältnisse haben Neuhauser zufolge auch den Corona-Cluster bei der Post mitverursacht. Aus Angst vor Kündigung seien die Leiharbeiterinnen und -arbeiter krank zur Arbeit gekommen und hätten trotz Krankheitssymptomen weitergearbeitet, die Soziologin sprach von Präsentismus.

Neuhauser erklärte, dass viele der Betroffenen die Jobs nur deshalb gemacht hätten, weil sie keine Alternativen hatten. Einer der Betroffenen musste etwa für die Wiener Einwanderungsbehörde MA 35 drei Lohnzettel vorweisen, ein anderer seiner Familie in der Heimat helfen. Die asylrechtliche Situation und ein eingeschränkter Arbeitsmarktzugang drängen Menschen mit Migrationsbiografie in solche Jobs, von Unternehmen werde diese Notlage ausgenützt, so der Vorwurf.

118 AK-Gerichtsverfahren in Sachen Hygiene Austria

Der Leiter des AK-Rechtsschutzes, Ludwig Dvorak, sagte, dass der Kollektivvertrag für Leiharbeitskräfte grundsätzlich vernünftig sei, es aber unseriöse Leiharbeitsfirmen gebe, die die Vorgaben missachteten. Wenn diese pleitegehen, würden die schuldig gebliebenen Löhne aus dem Insolvenzentgeltfonds, also von der Allgemeinheit, bezahlt.

Dvorak sagte auch, dass sich die Unternehmen mit Leiharbeit aus ihrer Verantwortung stehlen würden. Er drängt daher auf eine lückenlose Haftung der Auftraggeber. "Es muss der zahlen, der von diesem System profitiert", so der Arbeitsrechtsexperte.

Die Arbeiterkammer führt mittlerweile 118 Gerichtsverfahren in Sachen Hygiene Austria. Die Maskenfirma war von Palmers und Lenzing zu Beginn der Corona-Pandemie gegründet worden, geriet aber im März 2021 infolge einer Hausdurchsuchung im Zuge von Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) massiv unter Druck. Ermittelt wird wegen des Verdachts der organisierten Schwarzarbeit sowie schweren gewerbsmäßigen Betrugs. Die Firma räumte daraufhin ein, FFP2-Masken zwar als "Made in Austria" beworben, einen Teil davon aber in China zugekauft zu haben. (APA, 12.11.2021)