Versuchen wir, ein paar simple Fakten auf die Reihe zu bringen:

Wir sind in einer Krisensituation, und die Regierung rudert herum. Das kann gravierende gesellschaftliche Folgen haben.

Wenn ein weiterer, gesamter Lockdown rund um Weihnachten notwendig werden sollte; wenn die Menschen sehen, dass ihre Angehörigen in den Spitälern nicht mehr behandelt werden können, dann könnte die Geduld der Österreicher zu Ende gehen. Mit gröberen Protestaktionen, mit Auseinandersetzungen auf der Straße ist zu rechnen. Angeheizt einerseits durch Impftrolle von der FPÖ und anderen bedenklichen Gruppierungen, andererseits aber auch durch "normale" Bürger, die nicht mehr einsehen, warum sie für eine (starke) Minderheit der Unvernünftigen büßen sollen. Der Lockdown für die Ungeimpften wird auch böses Blut machen und ist nicht wirklich kontrollierbar.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) konnte sich als entschlossener, aber ruhiger Politiker profilieren.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Die Regierung und diverse andere Entscheidungsträger, wie etwa hilflose Landeshauptleute, sind dafür nicht gerüstet. Die Kanzlerpartei ÖVP hat ihre Führungsfrage noch nicht gelöst, solange Sebastian Kurz auf ein Comeback hinarbeitet. Die Grünen haben an einer Schlüsselstelle einen Gesundheitsminister, der wieder einmal beweist, dass ein Fachmann ohne politische Power und Erfahrung nicht viel ausrichtet. Was sind die möglichen politischen Folgerungen daraus? Sollte, was sehr unwahrscheinlich ist, Kurz den internen Machtkampf gewinnen, gehen die Grünen aus der Regierung, und wir haben Neuwahlen. Aber auch so müssen die Grünen überlegen, ob sie da weiter mitmachen. Solange die gegenwärtige vierte Corona-Welle andauert, wird niemand ein Platzen der Regierung wollen.

Unangenehme Maßnahmen

Allerdings bleibt die unwahrscheinliche, aber nicht ganz unmögliche Idee einer (Notstands-) Regierung der nationalen Einheit. SPÖ und Neos würden dann in die Regierung eintreten, um eine breite parlamentarische Mehrheit für unangenehme Maßnahmen – allgemeiner Lockdown, mehr oder minder De-facto-Impfpflicht, generelle Maskenpflicht – zu sichern. Die Corona-Troll-Partei FPÖ müsste natürlich draußen bleiben. Bestandteil eines solchen Paktes müsste dann sein, im Frühsommer (Mai?) zu wählen, eine Besserung der Situation natürlich vorausgesetzt.

Die andere Variante ist, dass auf jeden Fall gewählt wird, weil das Vertrauen in Türkis-Grün verlorengeht und sich als Alternative eine Dreierkoalition Rot-Grün-Neos abzeichnet. Die Voraussetzung wäre natürlich, dass die Grünen, auch getrieben von ihrer Basis, keinen Sinn mehr in der Fortsetzung einer Koalition mit der führungslosen ÖVP sehen.

Interessant dazu die letzten Umfragen: Die ÖVP stürzt dramatisch auf 24 Prozent ab; die SPÖ liegt mit 25 Prozent erstmals vorne, Grüne (13) und Neos (11) hätten jedoch noch immer keine Mehrheit. Dem Vernehmen nach hat aber Wiens Bürgermeister Michael Ludwig die Parole ausgegeben, dass eine Rot-Grün-Neos-Koalition anzustreben ist, sobald die Umfragen einigermaßen über 50 Prozent liegen. Die Frage ist, wer dann SPÖ-Spitzenkandidat und Kanzlerkandidat für die Wahlen wäre. Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil will ganz klar, aber er wird in der SPÖ als Spalter angesehen.

Die Stimmung ist mehr und mehr für Ludwig, der sich als entschlossener, aber ruhiger Politiker profilieren konnte. Wenn aber Ludwig Kanzler einer etwaigen Dreierkoalition wird, braucht man jemand fürs Wiener Bürgermeisteramt. Doris Bures wird genannt, leidet aber immer noch sehr an Long Covid. Jedenfalls kommt es mehr und mehr auf Ludwig an. (Hans Rauscher, 13.11.2021)