Die ÖBB prüft und evaluiert de facto selbst, an welchen Bahnunfällen und Zwischenfällen ihre eigene Infrastruktur schuld ist. Einen finanziellen Anreiz zur Vermeidung gibt es nicht.

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Wien – Auf ein paar Millionen mehr oder weniger für die ÖBB kommt es der Politik offenbar nicht an. Über die Jahre haben sich 1,147 Milliarden Euro angesammelt, die der ÖBB ab 2015 seitens ihres Eigentümervertreters Verkehrsministerium zugeschlagen wurden. Das kritisiert der Rechnungshof (RH) in seinem am Freitag veröffentlichten Bericht scharf.

Diese den tatsächlichen Bedarf teils deutlich übersteigenden Zuweisungen betrafen nicht die Annuitätenzuschüsse für das milliardenschwere Bahnausbauprogramm samt Instandhaltung des Bahnnetzes. Als zu hoch beanstandet wurden Zahlungen für die Finanzierung des Bahnbetriebs, also den Aufwand für die Erhaltung von knapp 5.000 Kilometern Schienennetz, Verschub und Lehrlinge. Ohne diese Zuschüsse gemäß §42 Abs. 1 Bundesbahngesetz würde in Österreich kein Zug fahren.

Die Grundfinanzierung beträgt jährlich zwischen einer und 1,3 Milliarden Euro, hinzu kommen die Kosten des Verschubs in Höhe von zuletzt 112,4 Millionen Euro, die Lehrlingsausbildung (38.7 Mio. Euro) und die Sicherheit, also die Verbesserung der Netzqualität, mit der die Zuschüsse legitimiert werden, Auch "Abschreibungen und Zinsaufwand für nicht den Annuitätenfinanzierungen unterliegende Anlagen" gehören dazu.

Lange Mängelliste

Die von den staatlichen Buchprüfern erstellte Mängelliste ist lang und wirft ein grelles Licht auf die Gebarung der vom Steuerzahler finanzierten Investitionen, für die sich Politiker und Politikerinnen gern auf ihre Schultern klopfen.

  • ·ÖBB-Rahmenpläne und Zuschussverträge Die rollierenden, jeweils für sechs Jahre erstellten ÖBB-Rahmenpläne wurden selten zeitgerecht erstellt, vom Ministerrat beschlossen und in Kraft gesetzt, ebenso wenig die dazugehörigen Zuschussverträge. Letztere braucht es, weil die Einnahmen der ÖBB-Infrastruktur etwa aus Schienenmaut und Bahnstrom nicht reichen, um die Aufgaben kostendeckend zu erfüllen.

Einvernehmen fehlte

Der Hauptgrund für die Verspätungen lässt in die Abgründe der koalitionären Arbeit blicken: Verkehrs- und Finanzministerium konnten kein Einvernehmen über den tatsächlichen Finanzbedarf herstellen, und so gab es den ÖBB-Rahmenplan 2015–2020 gar nicht und für jenen der Jahre 2017–2022 fehlte der dazugehörige Zuschussvertrag.

Und so verzichtete das Verkehrsministerium im Prüfungszeitraum 2015 bis 2020 großteils auf eine Gegenverrechnung. Da der für Infrastrukturfinanzierung zuständige Sektionschef Herbert Kasser auch dem ÖBB-Aufsichtsrat angehört, blieb die Sache quasi innerhalb der Familie – bis der aushaftende Betrag dem Rechnungshof im Zuge der Überprüfung des Bundesrechnungsabschlusses 2019 auffiel. Das dazugehörige Pendant fand sich in der Bilanz der ÖBB-Infra des Jahres 2019. Nun muss die Staatsbahn das zinsenlose Darlehen in Raten zurückzahlen.

  • ·Einsparungen, Zinsendienst Die von der ÖBB-Infra angekündigten Einsparungen gegenüber vorangegangenen Rahmenplanperioden blieben übrigens ohne Folgen: Das Verkehrsministerium kürzte die Zuschüsse im Einvernehmen mit dem Finanzministerium nicht im möglichen Ausmaß. Selbst auf Anpassung des Refinanzierungszinssatzes auf aktuelle Werte verzichtete man, schreibt der Rechnungshof. Die verwendete Durchschnittsverzinsung des ÖBB-Finanzierungsportfolios führte zu dauerhafter Überzahlung – "seit 2007 in einer Größenordnung von mehreren Hundert Millionen Euro". Das gilt bei dieser Art der Kalkulation auch umgekehrt: Gäbe es keine Nullzinspolitik der EZB müsste der Staat also ständig nachschießen.
  • Sicherheit Beängstigend, diesfalls für Bahnfahrgäste und ÖBB-Bedienstete im Fahrdienst, klingt der Punkt Sicherheit. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle – dazu gehören "Beeinträchtigung des sicheren Betriebs durch schwere Mängel an technischen Einrichtungen und Schienenfahrzeugen" ebenso wie Kollisionen oder Entgleisungen – im ÖBB-Netz haben sich von 1.252 im Jahr 2015 auf 2.566 im Jahr 2019 mehr als verdoppelt. Von insgesamt 8.927 im Prüfzeitraum hatte 1.301 oder 15 Prozent die ÖBB-Infra zu verantworten. Beobachter sind alarmiert. Die EU knüpft staatliche Zuschüsse an die Bedingung, dass die Netzqualität kontinuierlich verbessert wird.

Die vom RH aufgelisteten Fälle legen das Gegenteil nahe – obwohl das ÖBB-Netz zu den teuersten in der EU gehört. Ein externes Monitoring etwa durch die Schig ist nur eingeschränkt vorhanden. Der Rechnungshof empfiehlt, Maßnahmen zu entwickeln, um die sicherheitsrelevanten Vorfälle zu verringern, ein externes Monitoring durch die Schig zu etablieren und der Schig eigenständige Prüfkompetenz zu übertragen.

Noch mehr Geld

Die ÖBB spielte die Kritik herunter, der Anstieg sei "im Wesentlichen auf Vorfälle in Kategorien mit geringem Schadenspotenzial zurückzuführen". 2018 habe man eine Häufung von Vorfällen in der betrieblichen Sicherheit im Konzern festgestellt. Daraufhin seien "zusätzliche Maßnahmen entwickelt und deren Umsetzung gestartet" worden, teilte die ÖBB mit. Und bekommt im Endeffekt noch mehr Geld: Denn für die Verbesserung der Sicherheit und der Betriebsführung investiere das Unternehmen im laufenden Rahmenplan bis 2027 zwei Milliarden Euro.

Folgen hatte der Anstieg der Vorfälle übrigens keine. Die maximale Ausgleichszahlung für 2018 bis 2022 wurde um weitere zwei Millionen Euro erhöht. (Luise Ungerboeck, 13.11.2021)