Vor dieser Spirale hat niemand Angst. Allerdings: In Europa warnen derzeit auch Nudelhersteller vor steigenden Preisen.

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Für jene Experten, die schon davon überzeugt waren, dass die gegenwärtig hohen Inflationsraten kein vorübergehendes Phänomen sind, brachte die vergangene Woche neue Argumentationshilfe. Die Inflation in den Vereinigten Staaten hat im Oktober 6,2 Prozent erreicht. Das ist die höchste Teuerung seit dem Jahr 1990. In der Eurozone ist die Entwicklung zwar weniger dynamisch, aber mit knapp über vier Prozent ist die Inflation auch hier in den vergangenen Monaten stark gestiegen.

Angesichts dieser Entwicklung werden die Warnungen vor möglichen Verwerfungen deren Folge lauter. Der ehemalige Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard, schreibt in einem Blogeintrag, dass sich Ökonomen in den USA umgehend damit beschäftigen müssten, was geschehe, falls die Inflationsrate dauerhaft hoch bleibe und die Notenbank drastisch eingreifen müsse. Was meint Blanchard? Sollte die US-Notenbank Fed gezwungen sein, die Zinsen anzuheben, hätte das Auswirkungen auf die US-Wirtschaftsleistung, auf den Arbeitsmarkt und auf die Finanzmärkte. Die Zinsen müssten so stark steigen, dass die Kreditvergabe zurückginge und die wirtschaftliche Entwicklung gebremst würde. Das könnte die Teuerung zwar abschwächen, hätte aber hohe Kosten für die Gesellschaft.

Wenn sich die Inflation von selbst verstärkt

Interessant ist, warum Blanchard diese Warnung ausspricht. Die Teuerung in den USA wird durch ähnliche Faktoren beeinflusst wie in Europa: Neben Energiepreisen sorgen vor allem pandemiebedingte Verwerfungen für Anstiege. Etwa am Automobilmarkt, wo Ersatzteile fehlen. Das sind vorübergehende Einflüsse. Aber für Blanchard ist es nicht ausgeschlossen, dass die aktuelle Inflation eine "Lohn-Preis-Spirale" in Gang setzt.

Steigende Preise führen dabei zu höheren Lohnabschlüssen, weshalb die Inflationserwartungen steigen. Das lässt Preise und dann wieder die Löhne weiter steigen. Kommt eine Spirale in Gang, lässt sie sich schwer stoppen.

Nicht nur in den USA machen sich Ökonomen Gedanken über das Phänomen. In Österreich sah der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, Gabriel Felbermayr, den Lohnabschluss der Metaller über der Inflationsrate der vergangenen zwölf Monate kritisch. Der Abschluss habe unter anderem auf die prognostizierte Inflation abgestellt. Damit könnten sich "temporäre Inflationsspitzen verfestigen und Inflationserwartungen selbsterfüllend werden, weil sie durch höhere Löhne zu höheren Kosten und in der Folge zu höheren Preisen führen", so Felbermayr.

Aber gibt es Anzeichen für eine solche Spirale? Das zu sagen ist noch zu früh, analysieren lassen sich aktuell nur Dynamiken der Lohnentwicklung. In den USA sind die Löhne kräftig gestiegen. Vor allem Bezieher kleiner Einkommen verdienen mehr. Laut Daten der Federal Reserve in Atlanta, eines Ablegers der US-Notenbank, waren ihre Einkommen im September 2021 um 4,9 Prozent höher als vor einem Jahr. Das ist der stärkste Anstieg seit gut 20 Jahren.

Wo die Löhne steigen

Besonders in Gastronomie und Hotellerie müssen Unternehmen ihren Angestellten mehr zahlen. Aber auch Unternehmen wie Amazon haben Gehälter erhöht. Die Anstiege bei Besserverdienern waren viel moderater. Und: Ob die Unternehmen die hohen Preise eins zu eins an Kunden weitergeben oder niedrigere Profite akzeptieren, steht noch nicht fest. Für ein Urteil darüber, welche Effekte die Entwicklung hat, ist es also noch zu früh.

In Europa ist die Situation noch eine andere: Die Europäische Zentralbank (EZB) analysierte vor wenigen Wochen, dass die Lohnanstiege nirgends einen Hinweis auf eine Lohn-Preis-Spirale geben. Der Economist kommt in einer aktuellen Analyse zu dem Ergebnis, dass es eine Kluft gibt: Die Löhne würden in allen angelsächsischen Ländern stärker als vor der Pandemie steigen, während sich in Kontinentaleuropa weniger Bewegung zeige.

Eine Erklärung: In den USA, Kanada, Großbritannien, Australien und Neuseeland wirke sich aus, dass billige Arbeitsmigranten als Folge der Pandemie fehlten. Das treibe die Preise nach oben.

Was lässt sich für Österreich sagen? Hier beobachtet die Oesterreichische Nationalbank die Lohnabschlüsse. Derzeit sieht man keinen Grund für Alarm, wie Gerhard Fenz, stellvertretender Leiter der Abteilung für volkswirtschaftliche Analysen, sagt. Er argumentiert so: Solange die Lohnabschlüsse die Summe aus Inflation und Produktivitätszuwachs nicht übersteigen, gibt es für Unternehmen keinen Druck, die gestiegenen Löhne in Form höherer Preise an Konsumenten weiterzugeben.

Dann bleibe nämlich der Anteil der Unternehmen an der Wertschöpfung konstant. Bei den Metallern werden Ist-Löhne um 3,55 Prozent steigen. Der Abschluss der Metaller sei "im Rahmen", so Fenz, wenn man Inflation und Produktivität berücksichtige. (András Szigetvari, 14.11.2021)