Seit Freitag ist zumindest eines endgültig klar: Politische Ankündigungen gelten in Pandemiezeiten nur kurz; und auch nach mehr als eineinhalb Jahren Corona regiert in Österreich das Maßnahmenchaos. Am vorläufigen Ende des aktuellen Krisensitzungsreigens soll nun Sonntagabend der Hauptausschuss des Nationalrates tagen. Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) will dann "grünes Licht" für einen österreichweiten Lockdown für Ungeimpfte geben. Zuvor ist eine Videokonferenz mit allen Landeshauptleuten angesetzt, um eine "bundeseinheitliche" Lösung zu finden. Wann die in Kraft tritt, ließ er offen. Jedenfalls werden am Montag Ungeimpfte in Oberösterreich und Salzburg in den Lockdown geschickt.

Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) will "grünes Licht" für einen bundesweiten Lockdown für Ungeimpfte geben.
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Begonnen hat alles am Mittwoch. Da soll Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) angesichts der Zahlen die Geduld verloren haben. Nach dem Ministerrat kündigte er einen akuten Krisengipfel an – mit den Landeshauptleuten von Oberösterreich und Salzburg. Um 16.30 Uhr startete die Videokonferenz. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner lag in Oberösterreich zu diesem Zeitpunkt bei fast 1.200, in Salzburg bei 933. Die Lage sei unglaublich ernst, warnte Mückstein die Landeschefs Thomas Stelzer und Wilfried Haslauer (beide ÖVP). In den Bundesländern sei das am Mittwoch aber noch immer nicht ganz angekommen gewesen: Sie hätten nahezu überrascht reagiert, heißt es aus Regierungskreisen. Das Treffen endete ohne Ergebnis. Man habe "Gott sei Dank viele Intensivbetten", meinte Stelzer am Abend. Scharfe neue Regeln habe er mit 2G doch gerade verordnet.

Dazu, wie es zu Stelzers Meinungsumschwung 24 Stunden später kam, gibt es verschiedene Erklärungen. Die einen sagen, Schallenberg habe ihm ins Gewissen geredet. Die anderen, das Gesundheitspersonal in Oberösterreich habe beim Landeschef Sturm geläutet. "Wir haben nicht mehr wahnsinnig viel Zeit", hatte Bernd Lamprecht, Lungenspezialist an der Kepler-Universitätsklinik gewarnt. Ein "Normalbetrieb in den Spitälern ist nicht mehr möglich". Hinzu kommt, dass auch in den Reihen der ÖVP der Unmut über die "Schauen wir mal"-Haltung von Stelzer und Gesundheitslandesrätin Christine Haberlander immer größer geworden sei. Ein rotes Tuch unter medizinischen Fachleuten war in den vergangenen Tagen vor allem, dass man vonseiten der obersten Landesmanager nicht müde wurde, die vierte Welle samt gefährlicher Dynamik als quasi unerwartet darzustellen. Tatsächlich gab es bereits im September klare Anzeichen und Prognosen, dass es ungemütlich werden könnte. Damals meldete Stelzer dem Bund eine notwendige Aufstockung an Intensivbetten.

Am Donnerstag lenkte der oberösterreichische Landeshauptmann dann ein. Nur einen Tag nach seiner Absage an einen Lockdown verkündete Stelzer, dass er für Ungeimpfte ab Montag in Kraft tritt. Plötzlich hieß es: Man habe "keinen Spielraum mehr, abzuwarten".

In Salzburg brauchte man für diese Einsicht länger: "Ich bin weniger der Mann der Symbole als der effektiven Maßnahmen. Wenn die Bundesregierung das Symbol haben will, müssen wir uns beugen", sagte Haslauer am Freitag – nachdem klar geworden war, dass auch sein Bundesland die Ungeimpften in den Lockdown schickt. "Wenn der Bund die Stufeneinschätzung ändert, dann halte ich mich daran."

Bundesweit steigende Zahlen

Trotzdem blieb Haslauer in seiner Rolle: der Landeshauptmann, der die Bevölkerung vor allzu strengen Maßnahmen des Bundes schützen will. So hätten Stelzer und er "massiv darauf hingewiesen", dass ein Lockdown "ein massiver Eingriff in Grund- und Freiheitsrechte ist", erklärte er. Um diesem zu entgehen, präsentierte Haslauer sogar kurz vor dem Treffen mit Mückstein noch eigene Verschärfungen im Land, um Härteres zu verhindern (siehe Wissen). Gereicht hat es nicht. Am Freitag überstieg die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner in Salzburg mit 1.236 sogar jene vom bisherigen Spitzenreiter Oberösterreich.

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) und Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP).
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Zwar sei die Situation vor allem in Oberösterreich und Salzburg besorgniserregend, aber "die Zahlen steigen auch in den anderen Bundesländern", betonte Gesundheitsminister Mückstein im Anschluss an das Krisentreffen mit den beiden Ländern. 11.798 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden wurden am Freitag gemeldet – mittlerweile liegt auch Gesamtösterreich bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 776. Am Sonntag wird verkündet, ob und ab wann es zu einem bundesweiten Lockdown kommt. Wie es um Ausgangsbeschränkungen für Geimpfte steht, beantwortete Mückstein am Freitag nicht. Bisher sah der Stufenplan vor: Ab 600 mit Corona-Intensivpatienten belegten Betten tritt bundesweit ein Lockdown für Ungeimpfte in Kraft. Derzeit liegen österreichweit 436 Covid-Kranke auf Intensivstationen.

Burgenland mit Impfhoch

Widerstand wurde aus dem Burgenland erwartet. Ganz im Osten darf man mittlerweile auf eine beachtliche Impfquote blicken. Das vor zwei Monaten angepeilte Ziel – 10.000 weitere Erstimpfungen – wurde mit knapp 13.000 sogar übertroffen. 82 Prozent der impfbaren Burgenländerinnen und Burgenländer haben zumindest den ersten Stich, das sind 74 Prozent der Gesamtbevölkerung. Burgenlands roter Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hatte ein Versprechen abgegeben: Lockerungen, falls 80 Prozent sich impfen lassen. Doch die Bundesentwicklung macht einen dicken Strich durch die Rechnung. Doskozil sagte außerdem, er sei "skeptisch, was die Sinnhaftigkeit und praktische Umsetzbarkeit" eines Lockdowns für Ungeimpfte betrifft.

Mit dem Bund geht der Burgenländer hart ins Gericht: "Der Bund macht sich das schon sehr leicht." Zuerst heiße es: "Länder, impft!", dann seien die Länder selbst schuld, "weil die Impfquote nicht passt". Es brauche bundesweite Maßnahmen, die vernünftig und vom Hausverstand getragen seien. Für verfehlt hält der burgenländische Landeschef eine Impfpflicht. "Wir müssen alles tun, um die Polarisierung und Spaltung in der Gesellschaft nicht noch weiter zu vertiefen."

Impfpflicht für Gesundheitsberufe

Mückstein sieht das seit dieser Woche anders: Er werde eine Impfpflicht für Gesundheitsberufe verordnen, kündigte er an. Auch beim Gesundheitsminister dürfte es zu einem Sinneswandel gekommen sein: "Ich bin gegen eine Impfpflicht", sagte er noch im Frühjahr.

Im rot geführten Wien wird man sich zumindest beugen müssen, sofern der Bund handelt. Man werde abwarten, was dieser vorschlage, heißt es aus dem Büro des Bürgermeisters. Am Freitag verhängte Michael Ludwig ein eigenes Fünf-Punkte-Programm für Wien: Darin enthalten ist die FFP2-Maskenpflicht in der Gastro und 2G+ in der Nachtgastro. Ab Samstag sind die Drittimpfungen für alle nach vier Monaten möglich und die Anmeldung startet für Kinder ab fünf Jahren. Gezweifelt wird aber auch in der Hauptstadt an der Umsetzung eines Ungeimpften-Lockdowns – vor allem an der Frage, wer das alles kontrollieren soll, könnte es sich spießen. Laut Kanzler sollen die Kontrollen "stichprobenartig" durchgeführt werden. Denn gegen eine flächendeckende Überprüfung spreche mehr als nur die fehlenden Ressourcen: "Wir leben ja nicht in einem Polizeistaat und können und wollen nicht an jeder Straßenecke kontrollieren", sagt Schallenberg. (Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, Markus Rohrhofer, Stefanie Ruep, Wolfgang Weisgram, 12.11.2021)