Bild nicht mehr verfügbar.

Für den zweiten Tage der Debatte hatte Richter Bruce Schroeder sogar sein eigenes Smartphone mitgebracht.

Foto: Mark Hertzberg/ZUMA Press Wire/Ap

Der Anlass für eine derzeit in den USA laufendes Verfahren ist alles andere als amüsant: Kyle Rittenhouse ist angeklagt, im August 2020 am Rande einer "Black Lives Matter"-Demonstration in Kenosha im US-Bundesstaat Wisconsin zwei Personen ermordet und eine schwer verletzt zu haben. Was das Verfahren noch brisanter macht: Rittenhouse war nicht nur selbst zu diesem Zeitpunkt Mitglied einer rechtsextremen Miliz, er wird von diesen Kreisen seitdem auch als eine Art Held gefeiert. Was sich derzeit vor Gericht abspielt, kann aber nur als bizarr bezeichnet werden.

Videobeweis

Seit mehreren Tagen geht es in dem Verfahren nun bereits um Apples "Pinch to Zoom" und ähnliche Funktionen bei anderen Herstellern. Ausgangspunkt war die Wiedergabe eines Videos, in dem zu sehen ist, wie Rittenhouse auf Demonstranten schießt. Da die Aufnahme eine recht weite Perspektive zeigte, wollten die Geschworenen näher heranzoomen, um auf den zur Verfügung gestellten iPads das Geschehen besser erkennen zu können. Genau dagegen erhob die Verteidigung umgehend Einspruch.

The Independent

Die Argumentation: iPads trügen eine "Künstliche Intelligenz" in sich, die es erlaube "Dinge dreidimensional und logarithmisch" zu betrachten. Entsprechend werde bei der Nutzung von "Pinch to Zoom" nicht die Realität gezeigt, sondern was Apple glaube, dass passiert sei. Eine Ausführung, die natürlich Nonsens ist. Digitale Skalierungsverfahren sind wohl untersucht und dokumentiert, dabei wird auch nichts dazu erfunden.

Fruchtbarer Boden

Beim technisch offenbar wenig versierten Richter ging dieser Plan allerdings auf. Die Geschworenen mussten das Video stattdessen auf einem Fernseher im Gerichtssaal betrachten, was zur Folge hatte, dass kaum etwas zu erkennen war. Dies auch weil es der Anklage nicht gelungen ist, innerhalb von 20 Minuten einen Gegenbeweis vorzubringen, wie der Richter alternativ vorschlug.

Irgendwas mit Samsung

Doch wer meint, damit wäre die Posse an ihrem Ende angelangt, der irrt. Setzte sich die Kontroverse doch am nächsten Tag fort, und dieses Mal hatte der Richter seine eigenen "Beweise" mitgebracht. Entgegen den Behauptungen der Anklage würden solche Verfahren nicht einfach Bilder größer machen. Das könne er selbst anhand seines Galaxy S20 belegen. Mit diesem mache er nämlich regelmäßig Bildschirmfotos von Textkonversationen. Wenn er diese an andere schicke, und diese dann das vergrößern wollen, dann würden sie zunächst nur einen dünnen Streifen sehen. Und beim Heranzoomen gebe es statt den echten Inhalten nur ein verschwommenes Etwas.

Was hier offenbar passiert ist: Der Richter hat die bei Samsungs Smartphones vorhandene Möglichkeit genutzt, scrollende Screenshots – also über einen Bildschirm hinaus – aufzunehmen. Das funktioniert auch, beim Verschicken via Messenger dürften sie dann aber bis zur Unkenntlichkeit verkleinert worden sein. Genau genommen wäre das – wenn schon – ein Beleg dafür, dass eben keine solchen "KI"-Wunder vorgenommen werden, weil sonst wäre hier ja sehr wohl etwas zu erkennen. Was ein Samsung-Smartphone zur Debatte über Apples iPad beitragen soll, ist natürlich noch einmal eine ganz andere Frage.

Unwissen ist ein Problem

Was sich dabei allerdings sehr wohl zeigt, ist, wie negativ sich das technische Unwissen vieler Richter auf solche Verfahren auswirkt – selbst wenn es im Kern gar nicht um Fachthemen geht. Der zweite Tag diese Diskussion endete übrigens damit, dass es dem Richter nicht gelang, sein mitgebrachtes Smartphone lautlos zu schalten. (red, 13.11.2021)