Milorad Dodik soll nicht bestraft werden, wenn es nach der Meinung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell geht.

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Die EU sollte viel stärker auf die Drohungen des Nationalisten Milorad Dodik, Chef der größten bosnisch-serbischen Partei SNSD, reagieren, der Bosnien-Herzegowina zerstören will. Dies war die Hauptbotschaft der beiden EU-Abgeordneten, der Niederländerin Tineke Strik (Die Grünen) und des Deutschen Dietmar Köster von den Sozialdemokraten, die vergangene Woche Sarajevo besuchten und sich dort mit zahlreichen Vertretern der Zivilgesellschaft, Diplomaten und Politikern trafen.

Tatsächlich soll diesen Montag im EU-Außenministerrat über die Situation in Bosnien-Herzegowina diskutiert werden. Während sich einige EU-Staaten Sanktionen gegen Dodik und seine Getreuen durchaus vorstellen können, sind andere Mitgliedsländer wie Polen, Ungarn und Slowenien, die selbst von Nationalisten regiert werden, strikt dagegen.

Reiseverbot und Einfrieren von Vermögen

Mögliche Sanktionen könnten ein Reiseverbot für Dodik in die EU und das Einfrieren von Vermögen sein. Bei Sanktionen geht es unter anderem um eine Prävention von Konflikten. Diplomaten meinen, dass solche Sanktionen wegen der Verbindungen von Dodik, vor allem in den Staaten Zypern und Österreich ihre Wirkung zeigen könnten.

Strik betonte bei ihrem Besuch in Sarajevo, dass 15 der 27 EU-Staaten für Sanktionen stimmen müssten, um diese einzuführen. Diplomaten zufolge setzt sich vor allem Deutschland dafür ein. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte vergangene Woche, dass Deutschland Gelder der deutschen Steuerzahler nicht an einen Landesteil geben wolle, "der aktiv daran arbeitet, Bosnien und Herzegowina als Staat zu zerstören" – gemeint ist der bosnische Landesteil Republika Srpska, den Dodik vom Gesamtstaat abspalten will. Einzelmaßnahmen gegen diejenigen, die die territoriale Integrität des Landes in Frage stellen, würden überlegt, so Maas.

Borrell stellt sich gegen Sanktionen

Doch bosnischen Medien zufolge ist EU-Außenbeauftragter Josep Borrell gegen Sanktionen gegen Dodik. Er spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, denn er müsste in seiner Funktion die Sanktionen vorschlagen. Anders als Borrell plädiert Deutschland für eine gemeinsame Reaktion der EU, Großbritanniens und der USA. Durch die Haltung Borrells wird nun offensichtlich, dass es innerhalb der EU keinen Konsens mehr über die Nachkriegsordnung in Bosnien-Herzegowina und der Region gibt.

Auch innerhalb der Nato wird dies zunehmend diskutiert. Auf dem Gipfel in Riga am 30. November sollen Pläne für die Entsendung neuer militärischer "Stabilisierungstruppen" nach Bosnien und Herzegowina erörtert werden, schreibt die britische "Times".

Sanktionen aus London und Washington

Die US-Administration hat bereits 2017 – noch unter Präsident Barack Obama – Sanktionen gegen Dodik erlassen. Nun wollen die USA, gemeinsam mit Großbritannien diese Sanktionen ausweiten und verstärken. Dodik versucht indessen, Allianzen zu knüpfen. Ungarns rechtspopulistischer Premier Viktor Orbán besuchte Dodik vergangene Woche in der Nähe von Banja Luka, um Unterstützung zu zeigen. Danach besuchte Dodik Sloweniens Premier Janez Janša in Ljubljana. Später reiste er zum türkischen Präsidenten Recep Tayiip Erdoğan, um den von ihm selbst vom Zaun gebrochenen Konflikt offenbar zu internationalisieren.

In der EU wird das türkische Engagement in der Causa von manchen nicht gerne gesehen. Diplomaten zufolge will die Türkei, einer der Truppensteller für die Militär-Mission Eufor-Althea, künftig auch die Position des Eufor-Kommandanten – derzeit der Österreicher Alexander Platzer – besetzen. Aber auch in Deutschland könnte man sich in der nächsten Regierung dafür entscheiden, erstmals Soldaten für die Mission nach Bosnien-Herzegowina zu entsenden. Denn nach dem Abzug aus Afghanistan gibt es nicht nur ausreichend Kapazitäten, Deutschland könnte damit aber auch seine Unterstützung für den neuen Hohen Repräsentanten Christian Schmidt demonstrieren.

Sicherheitsstrategie fehlt

Angesichts der Drohungen von Dodik, die gemeinsamen staatlichen Institutionen zu verlassen und die Republika Srpska abzuspalten, wird jedenfalls vermehrt eine klare Sicherheitsstrategie der EU, der Nato, der Quint (Italien, Frankreich, USA, Deutschland, Großbritannien) für Bosnien-Herzegowina gefordert. Das Szenario, mit dem Dodik droht, ähnelt schließlich jenem in Nordzypern oder jenem in der Republik Moldau, wo das Gebiet Transnistrien – mit Unterstützung Russlands – abgespalten wurde. Dodik wird von Russland stark gefördert, was wiederum den geopolitischen Aspekt der Krise zeigt.

Der Sozialdemokrat Köster betonte bei seinem Besuch in Sarajevo, dass man Sanktionen auf den Tisch legen müsse. Strik meinte, dass die Tatsache, dass in der Republika Srpska bereits ein Gesetz verabschiedet wurde, mit dem beschlossen wurde, dass sie sich aus der gemeinsamen Arzneimittelagentur zurückzieht, zeigt, dass Dodik bereits die Rote Linie überschritten hat. "Wir sollten bereits Sanktionen ergriffen haben", so Strik.

Unterstützung für kroatische Nationalisten in der EU

Doch nicht nur die nationalistisch regierten EU-Staaten, sondern auch der Europäische Auswärtige Dienst (EEAD), ist in der Sache viel zögerlicher. Angelina Eichhorst vom EEAD meinte kürzlich in einem Treffen mit EU-Parlamentariern, dass Dodik die Rote Linie eben noch nicht überschritten habe. Eichhorst will nun Mitte November gemeinsam mit dem US-Diplomaten Matthew Palmer wieder nach Sarajevo kommen. Eichhorst und Palmer lobbyieren in Bosnien-Herzegowina für die Reform eines Wahlgesetzes.

Die nationalistisch kroatische HDZ in Bosnien-Herzegowina versucht nämlich seit vielen Jahren – auch über die Schwesternpartei in Kroatien innerhalb der EU-Institutionen – das Wahlgesetz so zu verändern, dass künftig nur mehr ein HDZ-Kandidat als kroatisches Mitglied in das dreiköpfige Staatspräsidium entsandt werden kann. Zur Zeit ist der bürgerorientierte Nicht-Nationalist Željko Komšić der kroatische Vertreter im Staatspräsidium. Komšić wird trotz seiner nicht-nationalistischen, pro-europäischen Haltung von gewichtigen Kräften in der EU nicht unterstützt.

Ethnische Trennung statt Bürger-Staat

Komšić wird vor allem von Nicht-Nationalisten, Menschen, die sich einfach als Bosnier bezeichnen, gewählt. Er bekam im Jahr 2018 225.500 Stimmen, sein Herausforderer von der HDZ, Dragan Čović 154.819 Stimmen. Ähnliches geschah bei der Wahl für den bosniakischen Vertreter im Staatspräsidium: Šefik Džaferović von der nationalistisch-bosniakischen SDA gewann knapp gegen Denis Bećirović von der bürgerorientierten SDP mit 212.581 gegen 194.688 Stimmen. Aus diesen Zahlen ist jedoch ersichtlich, dass es mindestens 400.000 Wähler gibt, die sich eher für bürgerorientierte Kandidaten als für Ethno-Nationalisten entscheiden.

Doch bereits im Krieg (1992-1995) haben zahlreiche Vertreter von EU-Staaten viel stärker die nationalistischen Kräfte in Bosnien-Herzegowina unterstützt, die Trennungen nach ethnischen Kriterien umsetzen wollen und nicht jene bürgerorientierten Kräfte, die einen gemeinsamen Staat mit gleichen bürgerlichen Rechten nach einem europäischen modernen Modell favorisieren.

Wahlbezirk nach ethnischen Kriterien

So haben etwa der Brite Lord Carrington und der portugiesische Diplomat José Cutileiro bereits im Jahr 1992 einen Plan erarbeitet, der die Aufteilung der Macht auf allen Verwaltungsebenen nach sogenannten ethnischen Kriterien und die Übertragung der Zentralregierung auf lokale ethnische Gemeinschaften vorsah. Nach diesem Plan sollten alle Bezirke als bosniakisch, serbisch oder kroatisch eingestuft werden, auch wenn gar keine "ethnische" Mehrheit erkennbar war. Die HDZ will nun in der aktuellen Diskussion um das Wahlgesetz, einen Wahlbezirk nach ethnischen Kriterien im Landesteil Föderation einführen. Der Chef der HDZ Dragan Čović ist seit vielen Jahren politischer Verbündeter von Milorad Dodik.

Deutschland hat sich in der Frage klar positioniert und fordert, dass das Wahlgesetz nicht zu "weiteren ethnischen Trennungen" führen darf. Von Diplomaten wird allerdings angezweifelt, dass Deutschland sich in der Causa durchsetzen wird können. Insbesondere der US-Botschafter in Sarajevo, Eric Nelson setzt sich vehement dafür ein, dass das Wahlgesetz noch vor dem Urnengang 2022 geändert wird. Der Druck, vor allem auf die SDA, ist groß, Mehrheiten dafür zu bilden. Bürgerorientierte Bosnier fordern hingegen, dass endlich jene Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umgesetzt werden, die die Diskriminierung gegen Minderheiten und Nicht-Nationalisten aufheben sollen. Dann könnten endlich auch Juden, Roma und Menschen, die sich nicht ethnisch definieren wollen, ins Staatspräsidium und Haus der Völker gewählt werden. (Adelheid Wölfl, 14.11.2021)