Die Wogen in Zusammenhang mit der Pandemie – trotz der Möglichkeit einer Impfung – gehen derart ungustiös hoch wie noch nie. Fast hat man das Gefühl, dass wir nahe eines mentalen Blackouts in der österreichischen Innenpolitik sind, vermutlich verursacht durch die Symptome eines demokratiepolitischen Gehirnnebels. Unter “Brain Fog“, im Deutschen Gehirnnebel, versteht man eine Art diffusen “Nebel im Gehirn“, der einem die Konzentration raubt und bei dem es sich um ein weitverbreitetes Phänomen handeln soll. Der Betroffene kann laut Symptombeschreibung nicht richtig denken, vergisst oft die einfachsten Dinge und verliert den Blick fürs Wesentliche. Man könnte glauben, dass manche Entscheidungsträger nach der langen schwierigen Zeit, unter der wir alle leiden, im metaphorischen Sinne von jenem Zustandsbild befallen sind. Sonst kann man sich so manche Aussagen wie vom “Zügel anziehen“ bis zur “abgelaufenen Zeit der Solidarität mit Ungeimpften“ nur schwer erklären. Anscheinend haben sich einige im vernebelten Herbst mit mentalem “Pumping Iron“ und Gehirnmuskeltrainings ausführlich beschäftigt.

Mentale Muskelspiele ohne Aufwärmübung

Spaß beiseite, die Lage ist durchaus ernst und dies nicht nur am Sektor der Medizin. Wer sich mit Sport beschäftigt weiß, dass man gut beraten ist, sich vor intensiven Trainings ausreichend aufzuwärmen und seine Muskeln zu dehnen. Tut man dies nicht, kann dies fatale Folgen haben. Analog verhält es sich in der Politik und der damit verbundenen Kommunikation. In letzter Zeit werfen Volksvertreter mit schnell raus gehauten Kraftdemonstrationen um sich, dass man sich nicht wundern darf, wenn daraus ernste Konsequenzen resultieren, die in einer noch stärkeren Polarisierung in der Bevölkerung münden als bisher. Manchen Politikern ist nicht bewusst, was sie mit ihren An- und Aussagen in der Bevölkerung bewirken. Jenen sind per se keine negativen Motive oder gar autoritäre Tendenzen zu unterstellen, was ihnen jedoch nicht klar ist, ist die Tatsache, was ihnen unbewusst und ungewollt auskommt. Einzelne Gruppen zu isolieren und gegeneinander auszuspielen ist in der Corona-Krise genauso unverantwortlich, wie Aufwiegeleien jeglicher Art, auch wenn es bei Corona unter dem Deckmantel einer medizinischen Notwendigkeit geschieht. Ein absolutes No-Go .

Die Krisenkommunikation der Regierung ist derzeit alles andere als klar.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Erlernte Hilflosigkeit und magisches Denken

Das Modell der erlernten Hilflosigkeit beschäftigt sich mit der durch negative Erfahrung entwickelten Überzeugung, die Fähigkeit zur Veränderung der eigenen Lebenssituation verloren zu haben und für diesen Zustand selbst verantwortlich zu sein. Das psychologische Konzept wird beispielsweise zur Erklärung von Depressionen herangezogen. Nahezu könnte man meinen, dass nicht nur große Teile der Bürger momentan unter dem Zustand der erlernten Hilflosigkeit leiden, sondern viele Spitzenpolitiker sich in diesem befinden, ohne es ehrlich zugeben zu wollen.

Ein weiteres Konstrukt dürfte im Rahmen der Pandemie nicht von unwesentlicher Bedeutung sein. Jenes des magischen Denkens. Dieses bezeichnet in der Psychologie eine Erscheinungsform der kindlichen Entwicklung, bei der ein Mensch annimmt, dass seine Gedanken, Worte oder Handlungen Einfluss auf ursächlich nicht verbundene Ereignisse nehmen können. Irrationale Prozesse wie das magische Denken können aber nicht nur die sogenannten "Schwurbler" befallen. Ebenfalls sind manche Experten so detailverliebt in ihrem Fachgebiet, dass sie nicht über den kognitiven Tellerrand ihres Arbeitsspektrums hinausblicken können. Das hört sich dann ungefähr so an: "Wir geben nur Empfehlungen ab, aber die Politik muss Entscheidungen treffen“. So putzt sich am Ende jeder beim anderen ab.

Perspektivenübernahme und Weitsicht

Da aber weder Experten eine Ahnung vom rutschigen Parkett der Politik, und die wenigsten Politiker einen Tau von den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen haben, kommt es zu dem Tohuwabohu und den verbalen Muskelspielen, die wir aktuell erleben. Zügel anziehen und dann den Lockdown wieder locker lassen. Auf und zusperren, Regeln und vieles mehr werden in die Zirkusarena der Irritationen geworfen. Einzig die lustige Zirkusmelodie fehlt. Nur der traurige Clown hat ab und zu - in welcher Inkarnation auch immer - seinen Auftritt vor den Kameras. Die Bürger sind zu Recht frustriert und verärgert, egal ob geimpft oder nicht. (Daniel Witzeling, 17.11.2021)

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