An den EU-Außengrenzen warten mittlerweile tausende Menschen auf eine Chance, in die EU zu gelangen.

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Brüssel – Belarus versucht nach den Worten von Präsident Alexander Lukaschenko, die Menschen im Grenzgebiet zu Polen von einer Heimreise zu überzeugen, dies aber erfolglos. "Es wird aktiv daran gearbeitet, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie bitte nach Hause zurückkehren sollen. Aber niemand will zurückkehren", sagte Lukaschenko am Montag laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta. Belarus wolle überdies "keinen Grenzkonflikt" mit Polen.

Ansammlung an Grenze

Anders sieht das Polen: "Immer mehr Gruppen von Migranten werden von belarussischen Truppen zum Grenzübergang Kuźnica gebracht", teilte das polnische Verteidigungsministerium am Montag auf Twitter mit. An einem geschlossenen Grenzübergang zwischen Polen und Belarus hat sich Videoaufnahmen der polnischen Behörden zufolge eine große Gruppe von Flüchtlingen versammelt.

Diese zeigen offenbar hunderte Migranten vor Reihen polnischer Polizisten und Soldaten. Zuletzt hatte es immer wieder Versuche von Migranten gegeben, die Grenze zu durchbrechen.

Die irakische Regierung hat unterdessen einen ersten Flug zur Rückführung von Migranten von der belarussisch-polnischen Grenze angekündigt. Irakische Staatsbürger könnten am Donnerstag auf "freiwilliger" Basis in ihre Heimat zurückkehren, sagte Außenamtssprecher Ahmed al-Sahaf in der Nacht zum Montag im irakischen Fernsehen. Die irakischen Behörden hätten im Grenzgebiet "571 Iraker registriert", die sich bereiterklärt hätten, freiwillig in ihre Heimat zurückzukehren.

Tausende harren im Wald aus

Zuvor hatte die private syrische Fluggesellschaft Cham Wings ihre Flüge nach Belarus eingestellt. Die türkische Regierung hatte Menschen aus Syrien, dem Irak und dem Jemen die Weiterreise nach Belarus verboten. Der Flugverkehr zwischen Bagdad und Minsk wurde bereits im August eingestellt.

Tausende Menschen vor allem aus dem Nahen Osten sitzen derzeit bei Temperaturen um den Gefrierpunkt im belarussisch-polnischen Grenzgebiet fest. Polen und andere EU-Länder beschuldigen den belarussischen Machthaber Lukaschenko, als Vergeltung für Sanktionen Flüchtlinge gezielt an die Grenzen von Lettland, Litauen und Polen zu schleusen. Moskau unterstütze seinen Verbündeten Minsk dabei. Das belarussische Außenministerium bezeichnete die Vorwürfe am Montag als absurd.

Auch Russland wies Erklärungen der USA als "falsch" zurück, wonach das belarussische Vorgehen an der Grenze zur EU von russischen Militäraktivitäten in der Nähe der Ukraine ablenken soll. Vielmehr bringt sich Russland im Konflikt zwischen der Europäischen Union und Belarus nun als Vermittler ins Spiel. Russland sei dazu bereit, sagte der Sprecher des Präsidialamts in Moskau, Dmitri Peskow, am Montag. Teilweise agiere das Land sogar bereits als Vermittler.

Polen und Deutschland dementieren Grenzöffnungs-Gerüchte

Polens Grenzschutz warf den Sicherheitskräften in Belarus am Sonntagabend vor, Migranten auf einen Durchbruch der Sperranlage vorzubereiten. Bei dem Grenzort Kuźnica seien in dem Lager auf der belarussischen Seite viele Zelte verschwunden, schrieben die Grenzer am Sonntag auf Twitter. "Die Ausländer bekommen Instruktionen, Werkzeuge und Tränengas von den belarussischen Sicherheitsorganen."

Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, da Polen in der Grenzregion den Ausnahmezustand verhängt hat. Journalisten und Helfer dürfen nicht hinein. Das gilt auch für das Grenzgebiet auf belarussischer Seite.

Zugleich traten Polen und das deutsche Außenministerium in Berlin Gerüchten entgegen, wonach Deutschland am Montag einen Transit für die feststeckenden Migranten plane. "Wer immer diese Lügen verbreitet, bringt Menschen in große Gefahr", teilte das Ministerium am Sonntag auf Twitter mit. Polen versandte Textnachrichten an die Menschen. "Das ist eine Lüge und Unfug! Polen wird seine Grenze zu Belarus weiterhin schützen." Die SMS auf Englisch würden alle erhalten, deren Handys sich im Grenzgebiet in Reichweite des polnischen Mobilfunks befänden, schrieb Innenminister Mariusz Kamiński auf Twitter.

Linhart für Sanktionen und Zaun

Die Außenminister der EU-Staaten, darunter Ressortchef Michael Linhart (ÖVP), wollen an diesem Montag ein neues Sanktionsinstrument beschließen, das sich gegen Beteiligte an der Schleusung von Migranten nach Belarus richtet. Es soll unter anderem gegen die staatliche belarussische Fluggesellschaft Belavia eingesetzt werden. Diese soll künftig von Firmen, die Flugzeuge verleasen, keine Maschinen mehr bekommen.

Es werde immer wieder versucht, Europa "auseinanderzudividieren, vor vollende Tatsachen zu stellen, uns zu erpressen", sagte Linhart vor dem Treffen. "Da müssen wir ganz klare Maßnahmen setzen." Dabei dürfe sich die EU "aber nicht ablenken lassen von dem, was wirklich passiert in Belarus", von Verletzungen der Menschenrechte gegenüber der eigenen Bevölkerung, betonte Linhart. "Es ist wichtig, dass wir ein weiteres Regime von Sanktionen beschließen."

Die Brüsseler Behörde muss seiner Ansicht nach EU-Gelder für die Errichtung eines Grenzzauns freigeben. "Manchmal muss man ganz drastische Maßnahmen setzen", um Europa zu schützen, unsere Grenzen zu schützen, so Linhart. Dabei gehe es auch um die österreichische Grenze.

Maas: Mehr Sanktionen möglich

Der deutsche Außenminister Heiko Maas hat unterdessen weitere EU-Sanktionen gegen Belarus im Streit um systematisch in die EU abgeschobene Migranten angekündigt. "Wir sind noch lange nicht am Ende der Sanktionsspirale angelangt", sagte der deutsche Außenminister am Montag vor dem EU-Außenministertreffen. Die Lage an der belarussisch-polnischen Grenze habe sich leider nicht verbessert, sondern verschlechtert.

Maas warnte auch Fluggesellschaften, die Migranten nach Belarus fliegen. Er könne den Entzug von Lande- und Überflugrechten der EU-Staaten nicht mehr ausschließen, wenn sich Fluggesellschaften an den von der belarussischen Führung organisierten Schleusungen beteiligten. Dass Turkish Airlines ihre Praxis auf Bitten der EU geändert habe, zeige, dass es auch anders gehe.

Bei Minusgraden im Wald

Später am Montagabend treffen die EU-Außenminister mit den EU-Verteidigungsministern, darunter auch Ressortchefin Klaudia Tanner (ÖVP), zusammen. Bei dem "Jumbo-Rat" steht der sogenannte Strategische Kompass, eine Art sicherheits- und verteidigungspolitische Doktrin für die EU, im Mittelpunkt. Darunter fällt auch die Einrichtung einer schnellen militärischen Eingreiftruppe der EU, die aus bis zu 5.000 Soldaten bestehen soll.

Auch nach einer Woche in der Kälte warten tausende Migranten im Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus weiter auf Hilfe. Die staatliche belarussische Nachrichtenagentur Belta veröffentlichte am Montag wieder Fotos von Menschen, die sich in provisorischen Lagern an Lagerfeuern wärmen. Die Migranten, die von belarussischen Sicherheitskräften ins Grenzgebiet gedrängt worden sein sollen, harren trotz Minusgraden im Wald aus. Mehrfach versuchten größere Gruppen, die Zaunanlage in Richtung Polen zu durchbrechen. (APA, red, 15.11.2021)