Eine Vorreiterstellung in der Verwertung von elektronischen Beweismitteln haben die USA, wo die global führenden Best Practices zum Umgang mit digitalen Daten entwickelt wurden.

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In Österreich ist das Recht noch nicht in der Digitalisierung angekommen – das lässt sich zumindest für den Umgang mit Beweismitteln so sagen. Die Aktenlieferungen des Finanzministeriums an den Ibiza-U-Ausschuss in Printform, die für mediale Aufmerksamkeit sorgten, sind nur ein prominentes Beispiel dafür. Doch das zugrunde liegende Problem hat seine Wurzel nicht in politischen Grabenkämpfen, sondern liegt in den rechtlichen Voraussetzungen, die solche Szenarien erst ermöglichen.

Die angesprochene Thematik stellt zwar einen Sonderfall dar, da ihre rechtliche Grundlage im nur beschränkt anwendbaren Informationsordnungsgesetz (InfOG) liegt. Doch der Umgang mit elektronischen Beweismitteln ist unter anderem auch in zwei fundamentalen österreichischen Verfahrensgesetzen – der Strafprozeßordnung 1975 (StPO) und der Zivilprozessordnung (ZPO) – nicht spezifisch geregelt.

Freie Beweiswürdigung

Was ist ein elektronisches Beweismittel? Laut einer EU-Definition sind elektronische Beweismittel "digitale Daten, die bei der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten verwendet werden". Dazu zählen zum Beispiel E-Mails, Chatverläufe aus Nachrichtenapplikationen, Video- oder Bildmaterial sowie Metadaten. Solche Beweismittel treten oft als riesige Datenmassen auf, und es kann eine gigantische Herausforderung sein, diese zu durchsuchen. Ein erfolgreiches Mittel, um diese Aufgabe zu meistern, stellt das Modell einer "eDiscovery" dar, in der mit systematischen Vorgängen und forensischen Softwares gearbeitet wird, um die gesammelten Daten aufzuarbeiten.

Grundsätzlich gilt in Österreich sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen das Prinzip der freien Beweiswürdigung. Das heißt, dass ein Gericht frei entscheiden kann, welche Beweise es für den gegenständlichen Zweck als tauglich erachtet. Dennoch ist es in der Praxis überwiegend so, dass vorgebrachte Beweismittel altbekannten Beweismittelkategorien zuordnet werden. Elektronische Beweise werden nicht gesondert geregelt, sondern etwa in der Zivilprozessordnung üblicherweise den Kategorien "Urkunde" und "Augenschein" zugeordnet.

Die Crux daran ist, dass solche Kategorien zu einer Zeit definiert wurden, in der elektronische Beweismittel noch kaum bekannt, geschweige denn verfahrensrelevant waren. Eine gleiche Behandlung von elektronischen und analogen Beweismitteln ist praktisch aber nicht so einfach möglich. Es wird unter anderem vernachlässigt, dass es bei der Verwertung von Daten als Beweismitteln auf mehr ankommt als auf die bloße Sicherstellung eines Gegenstands. Dadurch ergeben sich Unklarheiten darüber, was zulässig ist, was nicht und wie eine sauber elektronische Beweisermittlung auszusehen hat.

Wo Österreich im internationalen Vergleich steht

Um zu analysieren, ob und welche Möglichkeiten es geben würde, unsere Rechtsordnung im Hinblick auf Beweismittel "digital-fitter" zu gestalten, ist es sinnvoll, sich damit zu beschäftigen, wie andere Staaten die Hürde in Angriff nehmen. Wenn wir einen Blick auf die dafür wohl geeignetste Benchmark werfen – unser Nachbarland Deutschland – wird klar, dass dieses zumindest stellenweise einen Schritt weiter ist. So sind etwa in der deutschen Zivilprozessordnung elektronische Dokumente ausdrücklich als Beweismittel definiert – das heißt, es wurde im Gegensatz zur österreichischen ZPO eine eigene Subkategorie eingeführt, um auf die entsprechenden Entwicklungen zu reagieren.

Eine Vorreiterstellung in der Verwertung von elektronischen Beweismitteln haben jedoch die USA, wo die global führenden Best Practices zum Umgang mit digitalen Daten entwickelt wurden. Es gibt zwei wesentliche Gründe dafür, dass die elektronische Beweisermittlung in den USA effizienter erfolgt als bei uns. Zum einen ist das Thema "electronic evidence" ausdrücklich im geschriebenen Recht geregelt worden. Die entsprechenden Regelungen befassen sich auch explizit mit den Daten selbst und nicht nur mit deren Trägermedien. So wurden etwa im zivilrechtlichen Bereich in den "Federal Rules of Civil Procedure" bereits im Jahr 2006 Ergänzungen vorgenommen, die die Möglichkeiten zur Sammlung und Verwertung von elektronischen Informationen als Beweismittel festlegen.

Diese Anpassungen haben auch die bereits erwähnte Ermittlungsmethode "eDiscovery" ermöglicht, die seither in den USA gängige Praxis ist. Das geschriebene Recht bildet aber gleichzeitig die Grundlage für in den USA übliche Best Practices. Diese werden in Guidelines und dergleichen definiert, die allgemein anerkannt sind, auch wenn sie kein verbindliches Recht darstellen. Für das Strafrecht gibt es beispielsweise die "Recommendations for Electronically Stored Information (ESI) Discovery Production in Federal Criminal Cases". Die USA haben noch eine zusätzliche Möglichkeit zur Entwicklung von Best Practices, da aufgrund des dortigen Rechtssystems sogenanntem "Case Law" ein hoher Stellenwert zukommt. Das heißt, dass Richter durch Einzelfallentscheidungen allgemeingültige Rechtsfortbildung in einer Form betreiben können, die in Österreich so nicht möglich ist. So gab es in den USA bereits in den frühen 2000er-Jahren Gerichtsentscheidungen, die den Umgang mit Daten als Beweismittel in Zivil- und Strafverfahren stark beeinflusst haben.

Spannungsfeld Datenschutz und Pragmatismus

Obwohl sich unser Rechtssystem nicht einfach mit dem der USA vergleichen lässt, kann man sich Anleihen von den dort geltenden Regelungen nehmen. Auch abgesehen vom Case Law ist das dortige kodifizierte Recht auf einem aktuelleren Stand als bei uns, und man beschäftigt sich intensiv mit den Besonderheiten von elektronischen Beweismitteln. Ein sehr relevanter Faktor muss jedoch an dieser Stelle noch erwähnt werden: der Datenschutz. Spätestens seit Einführung der DSGVO ist klar, wie hoch der Stellenwert von Datenschutz in Europa ist. Während die Herausgabe von Daten hier sehr restriktiv geregelt ist, werden im Vergleich dazu in den USA Verfahrenseinfachheit und Offenlegung priorisiert, um einen effizienteren Ermittlungsansatz zu ermöglichen.

In einem "Pre-Trial Discovery"-Verfahren haben beteiligte Parteien eines US-amerikanischen Zivilprozesses umfassende Ermittlungsbefugnisse. In Österreich ist die Beweisermittlung demgegenüber stark durch den Datenschutz eingeschränkt. Es besteht also – im Zivilrecht, aber auch anderen Rechtsgebieten – ein Spannungsfeld zwischen Datenschutz und verfahrensökonomischem Pragmatismus. Das sieht man momentan auch anschaulich am Konflikt zwischen dem Finanzminister und der Opposition zu den U-Ausschuss-Beweismitteln. Dieses Spannungsfeld aufzulösen ist keine einfache Aufgabe. In jedem Fall ist die Gesetzgebung aber gefordert, zeitgemäßen Umgang mit elektronischen Beweismitteln zu fördern und zu ermöglichen.

Warum gehandelt werden muss

Der Fall Blümel ist nur ein repräsentatives Resultat einer Rechtspolitik, die die Bedeutung und Besonderheiten von elektronischen Beweismitteln nicht genug gewürdigt hat. Unsere Kommunikation, sei es privat oder beruflich, und im Grunde unser ganzes Leben spielt sich heute zu großen Teilen digital ab. Es ist daher logisch, dass auch in Ermittlungen die Relevanz von elektronischen Beweismitteln überproportional schnell ansteigt. Whatsapp Chats und E-Mails sind heute in vielen Verfahren das Beweismittel Nummer eins. Angesichts dieser Umstände ist es unerlässlich, entsprechend zu reagieren und eine zeitgemäße Durchführung von Beweisermittlungen zu gewährleisten – auch wenn dabei sensible Themen wie der Datenschutz zu beachten sind. (Benjamin Weissmann, 16.11.2021)