Wolfgang Joop ist es gewohnt abzuliefern.

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Für seine Pointen wird er von vielen Journalisten geliebt, seine spitze Zunge ist bekannt wie berüchtigt. Ein Langweiler war Wolfgang Joop nie. In Interviews feuert der Modedesigner einen Einfall nach dem anderen ab. Immer geht es um alles und um nichts: um Angela Merkels Blazer wie um Robert Habecks Krawatten, um die Sehnsucht nach Unsterblichkeit, um Mode, Kitsch und Kunst.

Der größte Fan von Wolfgang Joop ist aber wahrscheinlich immer noch Wolfgang Joop selbst. Der selbstverliebte Mann aus Potsdam provoziert und polarisiert. Über Jahrzehnte lieferte er sich mit Karl Lagerfeld ein Gefecht um die originellsten Bonmots und die grellste Schlagzeile.

Wie der Mann mit dem Zopf erfindet sich Joop regelmäßig neu. Sein Leben gleicht einer öffentlich zelebrierten Seifenoper: Man weiß stets Bescheid über seine Lebensumstände – erst verheiratet mit Ehefrau Karin, dann mit Edwin Lemberg lebend –, sein berufliches Auf und Ab oder Streitigkeiten mit Tochter Jette.

Der Preuße aus Potsdam ist es gewohnt abzuliefern. So auch in jenem Interview, das am Samstag im "Spiegel" erschien: Joop, mittlerweile 76 Jahre alt, gab zu Protokoll, er habe bei Karl Lagerfelds Tod geweint, weil damals eine Ära zu Ende gegangen sei und "diese Welt so wunderbar frivol und frigide war". Und weiter: Alles sei käuflich gewesen. "Die Agenturen gaben die Schlüssel zu den Zimmern der Models, die nicht so viel Geld brachten, an reiche Männer. Und wenn sich ein Mädchen beschwerte, hieß es: Wir können auch auf dich verzichten." Auf die Entgegnung, dass das fürchterlich sei, antwortete Joop mit: "Ja. Aber wirklich schön ist die Modewelt nur, wenn es auch die Sünde gibt."

Es war dieser gedrechselte, wie selbstverständlich hingeworfene Satz, der in den sozialen Netzwerken Empörung auslöste – zu Recht. Der sexistische Sager, den Joop höchstwahrscheinlich autorisiert hat, verteidigt die frauenverachtenden Gepflogenheiten einer Branche, die bisher nicht aufgearbeitet wurden. Und er lässt Wolfgang Joop, der stets dem Zeitgeist hinterherhechelte, alt aussehen.

Beschäftigt nicht in Paris ein Missbrauchsskandal rund um Gérald Marie, den ehemaligen Europa-Chef der Modelagentur Elite, die Gerichte? Werfen ihm nicht ein Dutzend Frauen, darunter einige prominente Topmodels der 1980er- und 1990er-Jahre, sexuellen Missbrauch und Belästigungen vor? Immerhin, am Sonntag hat sich Joop für seine Aussagen entschuldigt. (Anne Feldkamp, 15.11.2021)