Vor allem in Massenverfahren wie den Klagen gegen VW soll Automatisierung bei der Datenverarbeitung helfen.

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Schon seit einigen Jahren bemühen sich Start-ups und einzelne Anwaltskanzleien um die Digitalisierung von Rechtsdienstleistungen. Innovationstreiber ist nicht bloß der Wunsch nach gesteigerter Effizienz. Manche Mandate wären aufgrund immer größerer Datenmengen ohne Legal Tech gar nicht mehr bewältigbar.

Ganz konkret sollen den juristischen Arbeitsalltag deshalb Machine-Learning-Systeme erleichtern, die mittels Algorithmen eine automatisierte Verarbeitung von Dokumenten erlauben. Nützlich ist das vor allem für Großkanzleien und die Abwicklung von Massenverfahren wie Sammelklagen von geschädigten Konsumenten.

Menschliche Grenzen

Derzeit ist es noch Aufgabe von Anwältinnen und Anwälten, jedes einzelne PDF, jede E-Mail und jedes Spreadsheet von Hand auszuwerten und zu strukturieren. Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das natürlich. Hat man aber zehntausende Anspruchsteller, müssen also zehntausende Klageschriften gesichtet und beantwortet werden, stößt man früher oder später an die Grenzen des menschlich Möglichen.

Deshalb hat die internationale Wirtschaftskanzlei Freshfields, die auch in Wien stark vertreten ist, ein eigenes Machine-Learning-Team engagiert. Entsprechende Technologien setzen die Anwälte seit fast drei Jahren ein, einerseits, um alle Dokumente handhaben zu können, andererseits, um für Mandanten transparenter zu werden.

Ein klassischer Anwendungsfall sind die Massenverfahren, bei denen eingehende Klagen mithilfe von Machine-Learning ausgewertet, validiert und dann in Claim-Management-Tools übertragen würden, sagt Lukas Treichl, Rechtsanwalt und Co-Head des Freshfields-Lab. Die weitere Bearbeitung könne man anschließend mithilfe einer Datenbank und Textmustern automatisieren.

Um Dokumente überhaupt verarbeiten zu können, müssen sie im ersten Schritt digitalisiert und in computerlesbare Form umgewandelt werden. Natürliche Sprachverarbeitung ermöglicht dann das Auslesen relevanter Informationen.

Validierung und Analyse

Für die weitere Verarbeitung, also die Validierung und Analyse, hat man eigene Online-Plattformen für die Zusammenarbeit von teils hunderten Anwälten entwickelt. Zusätzlich ermöglichen diese ein datengestütztes, für Mandanten dynamisch aufbereitetes Reporting.

Technisch möglich macht das unter anderem die Offenheit der Community. Diese ist fest verankert in der akademischen Welt und ihrer Tradition des freien Austauschs.

Die effiziente Entwicklung neuer Lösungen habe man Internetkonzernen wie Facebook und Google zu verdanken, die Frameworks und Softwarebibliotheken entwickeln und als Open Source frei zur Verfügung stellen. "Wir stehen auf den Schultern von Giganten", sagt Adriaan Schakel, Machine-Learning-Experte bei Freshfields. "Wir haben ein eher kleines Team, aber können Großes schaffen."

Dramatische Abhängigkeit

Stefan Woltran, Professor für Künstliche Intelligenz (KI) an der Technischen Universität Wien, bezeichnet die Abhängigkeit von Großkonzernen als dramatische Entwicklung. Denn: Die Konzerne sitzen auf riesigen Datenmengen, haben die größten KI-Forschungsabteilungen und stellen gleichzeitig die Infrastruktur für europäische Firmen zur Verfügung.

Sein Kollege Clemens Heitzinger merkt an, dass Google und Co in Grundlagenforschung investieren und interessante Resultate publiziert haben.

Schnellen Schrittes

Dass sich Machine-Learning im Rechtsbereich ausbreitet, scheint unaufhaltbar. Bei Massenverfahren und der Vertragsanalyse muss Freshfields wegen zahlreicher Anfragen bereits strikt priorisieren.

Bis die Technologien in kleineren Kanzleien aufschlagen, dürfte es also nur noch eine Frage der Zeit sein. Legal Tech verwendet diese schon, wenn auch in anderem Ausmaß. Steigt die Qualität und Verfügbarkeit von Machine-Learning, können auch sie darauf zugreifen. (Mickey Manakas, 16.11.2021)