Die Neuauflage alter "GTA"-Spiele wurde leider nicht mit der Liebe umgesetzt, die es offenbar gebraucht hätte.

Foto: Rockstar Games

Die Games-Branche wird dieses Jahr 156 Milliarden Dollar Umsatz machen und damit erneut Film- und Musikindustrie weit hinter sich lassen. Aber sie hat ein Problem: Spiele werden in diesem Jahr häufig unfertig veröffentlicht und enttäuschen damit die zahlende Kundschaft. Dabei traf es im November mit "Grand Theft Auto" und "Battlefield" gleich zwei Schwergewichte der Industrie, die wegen zahlreicher Fehler zum Start mehrere Online-Shitstorms provozierten.

Absturz

Man fühlt sich an das "Cyberpunk"-Debakel im Vorjahr erinnert: Immerhin wurde das Millionenprojekt vor Release hoch gepriesen, um dann vor allem für Besitzer älterer Konsolen unspielbar zu sein. Nun sorgten kürzlich zwei weitere Schwergewichte für Negativschlagzeilen. Mit der "GTA: The Trilogy – The Definitive Edition" etwa veröffentlichte Rockstar eine aufgehübschte Sammlung von drei der wichtigsten Titel der Videospielgeschichte. Statt der angenommenen Freude sorgten optisch fragwürdige Updates der Spielfiguren und zahlreiche technische Probleme jedoch dafür, dass die Nutzer auf der Wertungsplattform Metacritic dem Spiel derzeit 0,5 von zehn möglichen Punkten geben.

Ähnlich dramatisch geht es bei der neuesten Auflage der lang gedienten Shooter-Serie "Battlefield" zu. Hier werten die Spieler mit 2,6 Punkten und prangern etwa Design-Entscheidungen an, die wenig nachvollziehbar und eher Spielspaß-bremsend vollzogen wurden. Auch technisch kämpft das Spiel zum Erscheinen mit ärgerlichen Problemen, etwa regelmäßigen Abstürzen. "Battlefield" wird nächstes Jahr 20 Jahre alt. Man sollte also glauben, dass das Spielkonzept samt technischen Anforderungen inzwischen so weit erprobt ist, dass man die Millionenkundschaft zum Launch nicht mehr enttäuschen muss.

Den Spielern schmeckt der Zustand von "Battlefield 2042" derzeit nicht.
Foto: Metacritic

Homeoffice

Aber woran liegt es, dass Spiele derzeit regelmäßig verschoben werden – und am Ende trotzdem für lange Gesichter sorgen? Laut mehreren Entwicklern sorgte die Umstellung auf das Homeoffice bei vielen Studios für Probleme. Die Koordination mehrerer Hundert Mitarbeiter via Videostream scheint schwieriger zu sein, als zunächst gedacht. Bei Blizzard argumentierte man zuletzt die Verschiebungen von "Overwatch 2" und "Diablo 4" mit starken personellen Veränderungen – hier waren es vor allem Klagen wegen sexueller Belästigung, die unfreiwillige Personalrochaden auf der Führungsebene verursachten.

Eine andere Schattenseite der Branche, die früher nie thematisiert wurde, sind die sogenannten Crunch-Times – also eine überfordernde Anzahl an verpflichtenden Überstunden, teilweise über Monate hinweg. Nach mehreren Negativschlagzeilen und protestierenden Mitarbeitern wurde es zuletzt ruhig um diese Form der Ausbeutung. Die Gesundheit der Mitarbeiter scheint aber auf die Kosten pünktlicher Release-Daten und fertiger Spiele zu gehen. Nicht zuletzt klagen Entwickler über die zunehmende Komplexität von Spielen – auch in technischer Hinsicht.

So muss ein "Battlefield 2042" im Gegensatz zu älteren Teilen auf einer neuen Konsole oder dem PC in einer 4K-Auflösung genauso flüssig laufen wie auf älteren Konsolen in Full-HD. Als neuer Standard wurde zudem Crossplay – also das Spielen gegeneinander über Hardware-Grenzen hinweg – eingeführt und die maximale Spieleranzahl auf 128 verdoppelt.

Abgesehen von höheren technischen Anforderungen fragmentiert sich der Markt schneller, als er wachsen kann. Der mobile Games-Markt ist dabei die größte interne Konkurrenz. Mit Free-2-Play-Mechanik und einem bunten Mix an Angeboten locken immer mehr erfolgreiche Vertreter im Apple- und Google-Store. Auch Service-Games, die über Jahre fesseln und damit eine große Spielerschaft vom restlichen Markt fernhalten, haben mit "Fortnite", "League of Legends" und anderen Titeln immer mehr Vertreter gefunden. Das führt bei vielen großen Studios zu Unsicherheit, dem Abzug von wichtigen Ressourcen auf andere Projekte und zusätzlicher Fluktuation in der Branche.

Das spüren derzeit sowohl kleine als auch große Produktionen, welche die Erwartungshaltungen der Spieler kaum noch erfüllen können. Misslingt der Start, gehen Millionenprojekte den Bach hinunter. Eine zweite Chance gibt es nicht, der Markt bietet zu viele Alternativen. Diese Unsicherheit scheint auch bisherige Platzhirsche dazu zu zwingen, halbfertige Spiele abzuliefern und zu hoffen, dass die Probleme schon niemandem auffallen werden.

Zu guter Letzt will natürlich auch der Spieler jedes Jahr Nachschub, am liebsten in Form einer Fortsetzung, die nicht zu viel verändert, aber auch einiges neu macht. Wird nur ein Punkt auf der Erwartungsliste nicht erfüllt, findet sich der Hass im Netz, der sich 2021 auch schnell vermehrt und nicht selten einen Schneeballeffekt erzeugt: Es bringen sich auch gerne Leute ein, die das Spiel nur kurz oder gar nicht gespielt haben.

Weggabelung

So großartig die Games-Branche aufgrund ihrer Vielfalt und Möglichkeiten ist, so fragil scheint sie im Moment zu sein. Der Druck, unter sich verändernden Umständen auf höchstem Niveau abliefern zu müssen, und die wachsende Konkurrenz im Nacken scheinen keine guten Vorzeichen für eine gesunde Entwicklung in den nächsten Jahren.

Der Spielemarkt wird natürlich weiter wachsen, weil er sich mittlerweile als fixe Größe im Entertainmentbusiness etabliert hat. Wer von den vielen Anbietern aber auch künftig auf ebendiesem Markt bestehen will, muss sich fragen: Welche Weichen will ich heute stellen, um nicht im negativen Feedback der Spieler unterzugehen? (Alexander Amon, 16.11.2021)