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Saif al-Islam al-Gaddafi hat geschafft, was der großen Libyen-Konferenz am Freitag in Paris verwehrt blieb: Das internationale Interesse an den Wahlen in Libyen ist erwacht. Nicht unerwartet, aber doch paukenschlagähnlich kam am Sonntag der Auftritt des Sohns des im Oktober 2011 von Rebellen getöteten Machthabers Muammar al-Gaddafi: Er ließ seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen registrieren, die am 24. Dezember stattfinden sollen.

Gaddafi junior tauchte, seit Jahren zum ersten Mal öffentlich, in der Hauptstadt der südlichen Region Fezzan, Sebha, auf. Seine braune traditionelle Gewandung, die er zu dem Anlass trug, wäre nicht weiter auffällig, würde sie nicht jener seines Vaters bei dessen Rede zu Beginn des Aufstands im Februar 2011 ähneln. Damals kündigte Gaddafi an, die "schmierigen Ratten" töten zu wollen – ein Vorhaben, das von Saif al-Islam, der sich voll hinter seinen Vater stellte, unterstützt wurde.

Der zweitälteste Sohn Gaddafis, mittlerweile 49, war im Oktober 2011 von Kämpfern aus Zintan gefasst worden. 2015 wurde er bei einem Verfahren in Tripolis in absentia wegen seiner Rolle im Krieg zum Tode verurteilt.

"Langsam wie Striptease"

In Zintan wurde er zuerst als Gefangener gehalten, jedoch 2017 freigelassen und blieb dort – wo ihn im vergangenen Mai ein Reporter der New York Times in seiner opulenten Villa besuchte. Damals kündigte er sein Comeback an: Er werde die Libyer wieder an sich gewöhnen, das müsse jedoch langsam gehen – "wie bei einem Striptease".

Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) hat einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Gaddafi ausgestellt: Ob ihn das von der Kandidatur ausschließt, ist aber offen. Gegen einen anderen potenziellen Präsidentschaftskandidaten, den starken Mann Ostlibyens, General Khalifa Haftar, laufen Verfahren in den USA. Er hatte 2019 eine Offensive auf die Hauptstadt Tripolis eröffnet, die allerdings 2020 scheiterte. Seine Milizen verübten mutmaßlich Kriegsverbrechen.

Neben den beiden gibt es noch eine Reihe anderer, mit deren Kandidatur gerechnet wird. Darunter sind der Chef der aktuellen Regierung der Nationalen Einheit, Abdelhamid Dbeibeh, der ehemalige Innenminister Fathi Bashagha und, aus dem Osten, Parlamentssprecher Aguila Saleh, um die Bekanntesten zu nennen. Sie haben etwas gemeinsam: Jeder von ihnen wird zumindest von einer Bevölkerungsgruppe für untragbar gehalten.

Dass Gaddafi sich Chancen ausrechnet, ist dem katastrophalen Jahrzehnt seit dem Umsturz in Libyen, der durch eine vom Uno-Sicherheitsrat abgesegnete Nato-Intervention befördert wurde, geschuldet. Wie schon bei den Wahlen im Jahr 2014 könnte es auch diesmal ein Problem werden, wenn eine geringe Wahlbeteiligung zu einem Mangel an Legitimität des Siegers führt.

Aber bis dahin ist es ohnehin noch ein langer Weg. Die Konferenz in Paris formulierte – wie zuvor Libyen-Konferenzen in Berlin 2020 und im Juni 2021 – zwar hehre Ziele, blieb aber Antworten zur Umsetzung schuldig. Für die Wahlen am 24. Dezember – also in wenigen Wochen – gibt es mehr Unklarheiten als Klarheiten: Ist der Termin überhaupt zu halten, werden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gleichzeitig stattfinden und aufgrund welchen Wahlrechts und welcher Verfassungsbasis?

Großes Aufgebot in Paris

In Paris gab es ein hochrangiges internationales Aufgebot: Zu Präsident Emmanuel Macrons Gästen zählten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, US-Vizepräsidentin Kamala Harris und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi. Eine bereits in Berlin erhobene Forderung betraf den sofortigen Abzug ausländischer Milizen: laut Uno-Schätzungen bis zu 20.000 Mann. Jene Staaten, die dazu am ehesten etwas beitragen könnten, nämlich die Türkei und Russland, waren nur niederrangig vertreten.

Die Türkei hatte die Regierung in Tripolis gegen Khalifa Haftar unterstützt, was zu dessen Scheitern entscheidend beitrug. Im Oktober 2020 wurde ein Waffenstillstand geschlossen, im März 2021 die aktuelle Übergangsregierung gebildet, die Libyen in Wahlen führen soll.

Ankara steht auf dem Standpunkt, dass die türkischen Kräfte – darunter auch Türkei-affiliierte syrische Milizen – auf Ersuchen von Tripolis und deshalb legal im Land sind. Auf der Seite Haftars kämpfte vor allem die russische Wagner-Group, während ihm die Vereinigten Arabischen Emirate Waffen und Ägypten Luftunterstützung lieferte. Haftar sagte soeben den Abzug von 300 Söldnern seiner Seite zu, aber ohne nähere Details.
(Gudrun Harrer, 16.11.2021)