Vor einem Jahr verkündeten Christoph Wiederkehr und Michael Ludwig die erste Koalition von SPÖ und Neos auf Landesebene. Seither gibt der rote Bürgermeister seinem pinken Vize klar den Weg vor.

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Mit einem übergroßen Punschkrapferl und einem Corona-konformen Fistbump verkündeten vor genau einem Jahr Wiens Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) und Neos-Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr die erste rot-pinke Koalition auf Landesebene. Süß gab sich der Bürgermeister schon in den Wochen zuvor, als er alle Parteien zum Aneinander-Herantasten nach der Wienwahl im Oktober 2020 zu Kuchen und Co in sein Büro lud. Das Punschkrapferl hatte Ludwig jedoch am besten geschmeckt.

"In den inhaltlichen Punkten haben wir uns oft schnell gefunden."
Bürgermeister Michael Ludwig bei der Präsentation von Rot-Pink

Über die Gründe für Ludwigs Entscheidung wurde damals viel spekuliert. Der Weg des geringsten Widerstandes sei es gewesen, hieß es da etwa. Ludwig, dessen SPÖ 41,6 Prozent bei der Wahl einfuhr, ist schließlich fast sechsmal so stark wie Wiederkehrs Neos mit lediglich 7,5 Prozent – ein Faktum, das der Stadtchef selbst nicht müde wurde zu betonen. Auch über die gewollte Abgrenzung Ludwigs zu seinem Vorgänger Michael Häupl wurde gemutmaßt. Dieser war es bekanntlich, der in Wien erstmals den Spritzwein für Rot-Grün bringen ließ. Ludwig konnte sich emanzipieren, indem er mit einer neuen Konstellation aus dem Schatten des Altbürgermeisters trat.

Pinkes Problemressort

Was auch immer Ludwig schlussendlich zu Wiederkehr bewegt hat – der Stadtchef fährt mit der Entscheidung gut. Von den Pinken ist in der Koalition wenig wahrzunehmen. Wiederkehr tritt vor allem dann aufs Tapet, wenn es an der Zeit ist, Schadensbegrenzung zu betreiben.

Beispielsweise rund um das Chaos bei der MA 35. Als Integrationsstadtrat ist Wiederkehr für die Einwanderungsbehörde zuständig, die er von seinen roten Vorgängern übernommen hat. Im Sommer häufte sich die Kritik an überlangen Verfahren und nicht beantworteten Telefonanrufen. Wiederkehr musste ausrücken und stellte Verbesserungen in den Raum. Dass es allein heuer bereits 500 Beschwerden im Zusammenhang mit der "Problembehörde" gegeben habe, bezeichnete er Ende des Sommers als "viel zu viel". Integration müsse vom ersten Tag möglich sein, und dürfe durch Behördenwege nicht erschwert werden, sagte Wiederkehr in einem Interview mit dem STANDARD.

Ein anderes Mal wurde Wiederkehr aus Eigenverschulden zum Troubleshooter. Er präsentierte kurz vor dem Sommer seine Reform in Sachen Lehrstundenverteilung. Der Aufschrei war groß, dabei war es das Ziel der Neos, für Transparenz bei der Ressourcenverteilung an den Schulen zu sorgen. Dass nun aber einige Schulen plötzlich weniger Stunden zur Verfügung hatten und manche Projekte nicht fortgeführt werden konnten, wollte nicht jeder einsehen. Wiederkehr verteidigte seine Reform nicht ganz glücklich: Unter dem Strich gebe es genauso viele Verlierer wie Gewinner.

Bürgermeister Ludwig mischte sich in beide Debatten, also jene um die MA 35 und die Lehrstundenverteilung, wenig bis gar nicht ein. Er hat Wiederkehr wohl bewusst spüren lassen, was es bedeute, nun nicht mehr in der Oppositionsrolle, sondern in Regierungsverantwortung zu sein. Der Bürgermeister bezeichnet die Zusammenarbeit mit Wiederkehr als gut. Dieser sei bemüht und fleißig.

Ludwig selbst sieht sich vielmehr für die großen Probleme der Hauptstadt zuständig. So verdrängte der Stadtchef sogar seinen eigenen Gesundheitsstadtrat Peter Hacker im vergangenen Jahr als obersten Manager der Corona-Pandemie. Diese erklärte Ludwig zur Chefsache und führt seither einen harten Kurs in der Bekämpfung des Virus. Er verhängt von der Bundesregierung unabhängig regionale Lockdowns und strengere Maßnahmen oder regelt die Impfaktion anders als im Rest Österreichs üblich. Der "Wiener Weg", so kommuniziert es Ludwig, sei im Gegensatz zu dem der Bundesregierung stringent vorsichtig.

Chef gegen Coronavirus

Im Management der Gesundheitskrise signalisiert Ludwig Einigkeit in der Stadtregierung wie auch der Wiener SPÖ: Ein Ausscheren gibt es unter dem Stadtchef nicht. Vergessen scheint die Zeit, als Ludwig von Häupl eine zerstrittene Landespartei übernommen hatte.

Für seine Corona-Politik wird Ludwig aber auch weit über die Stadtgrenzen hinaus gelobt. Manch einer sieht ihn schon als Kanzlerkandidat und Nachfolger von Pamela Rendi-Wagner an der SPÖ-Parteispitze. Respekt brachte ihm seine ruhige, aber klare Strategie in Sachen Pandemiebekämpfung ein. Er verstand es auch öffentlich, zeitweise an der Seite der Bundesregierung, die notwendigen Maßnahmen klar zu kommunizieren.

So viel Zuspruch Ludwig für seine Pandemiebekämpfung erhält, so stark wird Wien wegen der Pläne zum Bau des Lobautunnels kritisiert. Ludwig selbst ist ein Verfechter des Projekts und rückt keinen Zentimeter davon ab. Für die Besetzerinnen und Besetzer der Baustelle, die die Grabungen im Naturschutzgebiet verhindern wollen, fand Ludwig keine netten Worte. Es handle sich um "Demonstranten, die die Mama mit dem Auto hinführt", platzte aus dem sonst so staatsmännischen Bürgermeister heraus. Innerparteiliche Kritik oder auch divergierende Ansichten vom pinken Koalitionspartner lässt Ludwig hier nicht gelten.

Die Corona-Krise ist derzeit einfach greifbarer als die Klimakrise. (Oona Kroisleitner, Rosa Winkler-Hermaden, 16.11.2021)