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Tausende Geflüchtete befinden sich seit Tagen an der Grenze zu Polen und Litauen, wie auf dem Foto der belarussischen staatliche Nachrichtenagentur zu sehen ist.

Foto: Oksana Manchuk/BelTA/Handout via REUTERS

Am Montag sind die Flüchtlinge in langer Kolonne zum belarussischen Grenzübergang "Brusgi" gegenüber der polnischen Ortschaft Kuźnica marschiert. Das Staatsfernsehen von Belarus (Weißrussland) zeigte, wie sie dabei die Grenzzäune umstießen, um auf die andere Seite zu gelangen.

Seit einer Woche harren die meisten in einem provisorischen Lager aus. "Die Flüchtlinge haben Hütten gebaut, sie bekamen Wasser, Holz und Hilfe. Heute aber geriet das Lager unerwartet in Bewegung", behauptete die staatliche Nachrichtenagentur Belta. Aus eigenem Entschluss scheint der spontane Aufbruch allerdings nicht gewesen zu sein – denn die Flüchtlinge wurden nach anderen Medienangaben quasi vom belarussischen Grenzschutz bis an den Übergang eskortiert.

Einer der Migranten erklärte anonym dem Radio Swoboda, dass die Silowiki die Flüchtlinge in der vergangenen Nacht "überzeugt" hätten, das Lager abzubrechen und die Grenze zu stürmen. Einige junge Männer seien auch darin "ausgebildet" worden, die Befestigungen zu durchbrechen, sagte er weiter.

Die polnischen Sicherheitskräfte reagierten auf die Verschärfung der Lage mit einer Verstärkung der eigenen Präsenz. Dutzende Polizisten wurden zum Grenzübergang verlegt, die Truppe mit Hubschraubern und Wasserwerfern ausgerüstet.

Fake News über Aufnahme

Die Zuspitzung der Lage ist auch auf Fake-News zurückzuführen. Das sogenannte "Zentrum für systematischen Bürgerrechtsschutz" von Dmitri Beljakow hatte die Nachricht verbreitet, die drei deutschen Städte München, Nürnberg und Erlangen seien zur Aufnahme der Flüchtlinge an der Grenze bereit. Beljakow hatte sich im vergangenen Jahr mit Aktionen gegen belarussische Oppositionellen hervorgetan. Sein Zentrum ist Ende September just rechtzeitig zur Verschärfung der Flüchtlingskrise gegründet worden.

Es ist davon auszugehen, dass er sich mit Minsk abgestimmt hat, zumal Präsident Alexander Lukaschenko selbst die Fake-News aufgriff: Die 2.000 bis 3.000 Migranten seien ja kein Problem für die EU. Nur Polen sei nicht bereit, einen humanitären Korridor für sie Richtung Deutschland zu öffnen, klagte er und schlug vor: "Wir können sie mit Belavia nach München ausfliegen."

Zuvor hatte es noch leichte Hoffnung auf ein Einlenken gegeben, nachdem der 67-Jährige erklärt hatte, seine Regierung versuche die Migranten zur Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen, und sei auch bereit, die Flüchtlinge zurückzubringen.

Als Versprechen, wie dies zunächst im Westen aufgefasst wurde, ist die Erklärung aber nicht zu verstehen. Die Flüchtlinge seien nämlich "äußerst starrköpfig" und wollten nicht in ihre Heimat zurück, was auch verständlich sei, da sie dort Hunger und Verfolgung fürchten müssten, setzte Lukaschenko nämlich hinzu.

Stattdessen drohte der Autokrat der EU, sollte diese die Sanktionen gegen Belarus verschärfen: "Wir werden uns verteidigen, denn weiter können wir nicht zurückweichen", sagte er. Zuvor hatte er schon angedroht, als Antwort den Gastransit durch Belarus zu stoppen, womit er sogar Moskau, das ansonsten in der Affäre klar hinter Minsk steht, aus der Fassung brachte.

EU verschärft Sanktionen

Die EU zeigte sich von den Volten in Belarus wenig beeindruckt. Beim Außenministertreffen in Brüssel wurden Sanktionen auf alle Organisationen ausgeweitet, die dabei helfen, "das illegale Überschreiten der EU-Außengrenzen zu erleichtern".

Laut dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell können die Strafmaßnahmen nun Fluggesellschaften, Reisebüros und andere Verantwortliche treffen, die sich am Schleusen der Migranten beteiligen. Eine Liste der Betroffenen wird in den nächsten Wochen ausgearbeitet. Für Österreichs Außenminister Michael Linhart ist es wichtig, dass sich die EU nicht auseinanderdividieren lasse und die Menschenrechtsverletzungen im Auge behalte.

Nach polnischen Angaben strömen immer mehr Menschen zur EU-Außengrenze beim Grenzübergang Kuźnica, am Montag waren nach Geheimdienstquellen rund 3.500 Menschen versammelt. Es soll zu Provokationen belarussischer Uniformierter kommen.

Die Regierung in Bagdad soll sich unterdessen bereiterklärt haben, irakische Staatsbürger am Donnerstag aus Belarus zurückzuholen, wie die deutschen Behörden mitteilen. (André Ballin aus Moskau, Thomas Mayer aus Brüssel, 16.11.2021)