Alexander Schallenberg wird den Schatten des Vorgängers nicht los. Was Sebastian Kurz vollmundig versprochen hat, darf sein Nachfolger nun verteidigen. Verbissen versucht der Kanzler der sommerlichen Behauptung, wonach die Pandemie für Geimpfte vorbei sei, den letzten Rest an Glaubwürdigkeit zu retten. Lockdowns für alle schließt Schallenberg aus, da können noch so viele Experten dazu raten.

Dabei wäre es keine Schande, in der Pandemie Einschätzungen über den Haufen zu werfen. Längst hat das tückische Virus auch manche Expertenaussage widerlegt. Natürlich sollten Politiker mit Entwarnungen besonders vorsichtig sein, zumal die Bevölkerung sonst rasch alle Vorsicht fahren lässt. Doch schlimmer als der Kurz’sche Irrtum an sich ist der Umstand, dass die Regierung zu wenig getan hat, um die Prophezeiung wahr werden zu lassen.

Bundeskanzler Alexander Schallenberg schließt Lockdown für alle aus.
Foto: imago images/SEPA.Media/Martin Juen

Da liegt der Kern des Versagens vor der vierten Welle. Aus dem Potpourri der Fachwelt-Meinungen hatte sich eine zentrale Warnung herauskristallisiert. Nur bei einer Steigerung der Impfrate lasse sich die Überlastung der Gesundheitsversorgung verhindern, hielt das staatlich eingesetzte Prognose-Konsortium Ende August fest. Wie der aktuelle Andrang an den Impfstraßen zeigt, hätte die Politik ein vielversprechendes Mittel in der Hand gehabt: Die weitreichende Verbannung der Ungeimpften aus dem öffentlichen Leben wäre bereits Anfang Herbst nötig gewesen. Doch die Regierung zauderte – so lange, bis Spitäler wieder in die Bredouille kamen.

Kette von Versäumnissen

Volkspartei und Grüne sind da allerdings in schlechter Gesellschaft. Wer mit dem Finger auf die Bundesregierung zeigt, darf die Mitschläfer in den Ländern nicht vergessen. Dass etwa PCR-Tests für die Massen trotz eines langen Sommers zur Vorbereitung nicht zumindest in allen Ballungszentren reibungslos so klappen, wie das im diesbezüglich vorbildhaften Wien der Fall ist, reiht sich in eine Kette von Versäumnissen. Bevor Oberösterreich und Salzburg angesichts der bedrohlichen Lage schließlich reagierten, richteten die beiden Länderchefs mit dümmlichen bis unbedarften Sprüchen größtmöglichen Kollateralschaden an. Welcher mündige Bürger soll künftig noch eine Vorgabe von dieser Seite ernst nehmen?

Mutwillige Ignoranz lässt ein anderer Urheber des Corona-Desasters walten. Bei aller Kritik an den machthabenden Politikern: Dass Österreich im EU-Vergleich beim Impfen derartig abstinkt, ist auch mit der besonderen Stärke der FPÖ zu erklären. Die Partei des nun selbst infizierten Demagogen Herbert Kickl hat der Gesellschaft nicht all die Ängste vor dem Stich eingeimpft – doch sie tut ihr Möglichstes, diese mit verantwortungsloser Desinformation zu schüren.

Als medialer Bruder im Geiste geriert sich Servus TV. Wer sich in besonders impfskeptischen Landstrichen umhört, lernt: Der Red-Bull-Sender, der sich bei der Unterscheidung von Verschwörungstheorie und wissenschaftlicher Expertise so schwertut, ist steter Quell gemeingefährlichen Unsinns.

Der Verweis auf die Quertreiber entledigt die Regierung nicht der Verantwortung. Die Kunst der Politik besteht auch darin, sich auf noch so widrige Umstände einzustellen – etwa mit einer Impfkampagne, die den Namen verdient. Doch fairerweise darf nicht übersehen werden: Kommt ein neuer Lockdown, dürfen sich die geimpften Leidtragenden bei vielen Akteuren bedanken. (Gerald John, 15.11.2021)