Das erste persönliche Gespräch seit Joe Bidens Angelobung im Jänner fand virtuell statt.

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US-Präsident Joe Biden hat bei seinem ersten Onlinegipfel mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping vor einer Konfrontation zwischen den beiden weltgrößten Volkswirtschaften gewarnt. Es liege in beider Verantwortung, "dafür zu sorgen, dass der Wettbewerb zwischen unseren Ländern nicht in einen Konflikt ausartet, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt", sagte Biden am Montagabend zu Beginn des mit Spannung erwarteten Gesprächs, das dreieinhalb Stunden dauerte.

An Spielregeln halten

Kommunikationswege müssten offen bleiben. Biden betonte zugleich, "dass sich alle Länder an dieselben Spielregeln halten müssen". Die USA würden immer für ihre Interessen und Werte sowie die ihrer Verbündeten und Partner eintreten. Er sprach sich für "Leitschienen des gesunden Menschenverstands" aus. Beide Seiten müssten ehrlich sagen, "wo wir uns nicht einig sind, und zusammenarbeiten, wo sich unsere Interessen überschneiden, insbesondere bei wichtigen globalen Fragen wie dem Klimawandel". Es gehe für beide Länder darum, eine verantwortungsvolle Führungsrolle in der Welt einzunehmen.

Am Ende des Gesprächs gab es positive Töne aus Peking. Das Treffen sei "weitreichend, tiefgehend, freimütig, konstruktiv, substanziell und produktiv" gewesen, schrieb die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hua Chunying, auf Twitter. "Es hilft, das gegenseitige Verständnis zu erweitern."

Telefonate

Es war die erste persönliche, wenn auch nur virtuelle Begegnung der beiden Präsidenten seit Bidens Amtsantritt im Jänner. Zuvor hatten sie nur zweimal telefoniert. Zum Auftakt sagte Xi laut chinesischen Medien, China und die USA sollten sich gegenseitig respektieren, friedlich koexistieren und kooperieren. Außerdem sollten beide Länder ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden.

Zudem äußerte Xi laut der Nachrichtenagentur Xinhua die Bereitschaft, mit Biden "einen Konsens zu bilden und aktive Schritte zu unternehmen, um die Beziehungen zwischen China und den USA in eine positive Richtung zu bewegen". Gute Beziehungen seien wichtig, um die Entwicklung in beiden Ländern voranzutreiben, ein friedliches und stabiles internationales Umfeld zu sichern und wirksame Antworten auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel oder die Corona-Pandemie zu finden. Als größte Volkswirtschaften und ständige Mitglieder im Weltsicherheitsrat sollten die USA und China ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden.

Meinungsverschiedenheiten

Zugleich warnte auch Xi Biden vor einer Konfrontation. Beide Seiten müssten konstruktiv mit ihren Differenzen umgehen, "um zu verhindern, dass die chinesisch-amerikanischen Beziehungen vom Kurs abkommen und außer Kontrolle geraten". Es sei normal, dass beide Länder Meinungsverschiedenheiten hätten. Entscheidend sei aber, diese konstruktiv in den Griff zu bekommen und eine Verschärfung zu verhindern. "Natürlich muss China seine eigene Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen schützen", betonte Xi. Die USA sollten vorsichtig damit umgehen. Chinas Präsident verglich beide Mächte mit zwei Ozeanriesen: "Wir müssen das Ruder stabilisieren, damit sich die beiden gigantischen Schiffe China und USA gegen Wind und Wellen vorwärtsbewegen, ohne vom Kurs abzukommen, zu stocken oder zu kollidieren."

Biden sprach bei dem Onlinegipfel auch die Menschenrechtslage in China an. Er habe sich besorgt über den Umgang mit der Minderheit der Uiguren in der Provinz Xinjiang, die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong, das Vorgehen in Tibet sowie über die Lage der Menschenrechte im Allgemeinen geäußert, teilte das Weiße Haus mit. Biden habe auch deutlich gemacht, "dass die amerikanischen Arbeitnehmer und Industrien vor den unfairen Handels- und Wirtschaftspraktiken der Volksrepublik China geschützt werden müssen".

Keine Positionsänderung zu Taiwan

Biden unterstrich demnach, dass sich die USA weiter ihrer Ein-China-Politik verpflichtet fühlen, wonach Peking als der legitime Vertreter Chinas angesehen wird. Er bekräftigte aber, dass die USA entschieden "einseitige Bemühungen" ablehnen, den Status Taiwans zu ändern oder den Frieden und die Stabilität in der Seestraße von Taiwan zu untergraben. Damit bezog er sich auf chinesische Drohungen einer Eroberung Taiwans zur "Wiedervereinigung". China betrachtet Taiwan als Teil der Volksrepublik, während sich die 23 Millionen Einwohner zählende Inselrepublik als unabhängig ansieht. Biden hob nach Angaben des Weißen Hauses auch hervor, dass sich die USA unverändert an das Taiwan-Gesetz von 1979 (Taiwan Relations Act) gebunden fühlen, mit dem sie sich der Verteidigungsfähigkeit der Insel verpflichtet haben. Unter Hinweis auf dieses Gesetz liefern die USA Waffen an Taiwan.

"Friedliche Wiedervereinigung"

Xi wiederum warnte vor resoluten Maßnahmen im Falle einer "Abspaltung" Taiwans. Die chinesische Führung sei "geduldig" und bemühe sich aufrichtig um eine "friedliche Wiedervereinigung". "Aber wenn die Unabhängigkeitskräfte in Taiwan provozieren und die rote Linie durchbrechen, müssen wir energische Maßnahmen ergreifen", zitierten ihn chinesische Medien. Die jüngsten Spannungen führte Xi darauf zurück, dass die taiwanesische Regierung sich für ihr Unabhängigkeitsstreben auf die USA stütze oder dass "einige Leute in den USA" vorhätten, Taiwan zu benutzen, um China zu kontrollieren. Dieser Trend sei sehr gefährlich. "Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich." Der wahre Status Taiwans und der Kern der Ein-China-Politik sei, dass Taiwan zu China gehöre und dass es nur ein China gebe.

Xi bezeichnete Biden laut Staatsfernsehen dennoch als "einen alten Freund". Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, hatte kurz vor der Videokonferenz auf Nachfrage noch gesagt, dass Biden Xi nicht als "alten Freund" betrachte. Biden kennt Xi noch aus seiner Zeit als US-Vizepräsident unter Barack Obama. Im vergangenen Monat sagte er dem Sender CNN, er habe in seiner Politikkarriere mehr Zeit mit Xi verbracht als jeder andere Staats- oder Regierungschef.

Streitpunkte

Das Gespräch erfolgte vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften. Das Verhältnis der Großmächte ist so belastet wie noch nie seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1979. Beide sehen sich als Konkurrenten. Eine Auswahl an Streitpunkten:

Taiwan: Biden sprach jüngst von einer "Verpflichtung" der USA, Taiwan im Fall eines chinesischen Angriffs zu verteidigen. Peking betrachtet Taiwan als Teil der Volksrepublik und droht mit einer Eroberung. Die USA lehnen auch Chinas Territorialansprüche im Südchinesischen Meer ab.

Menschenrechte: Die USA sind besorgt über die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong und kritisieren die Verfolgung der Uiguren in Xinjiang. Biden betonte in einer Rede vor dem US-Kongress im April mit Blick auf China: "Kein verantwortungsvoller amerikanischer Präsident kann schweigen, wenn grundlegende Menschenrechte verletzt werden."

Handelskonflikt: Seit der Zeit von Bidens Vorgänger Donald Trump liefern sich die beiden Wirtschaftsmächte einen Handelskrieg mit gegenseitigen Strafzöllen. Bidens Regierung wirft China "unfaires wirtschaftliches Verhalten" etwa durch staatliche Subventionen vor.

Coronavirus: Trump handelte sich Rassismusvorwürfe ein, weil er das Virus in Anspielung auf seinen Ursprung in China "Kung Flu" nannte – "flu" heißt auf Englisch Grippe. Biden ist diplomatischer, sorgte aber trotzdem für Ärger mit Peking: So beauftragte er die US-Geheimdienste mit einer Prüfung, ob das Virus aus einem chinesischen Labor stammt. Die Untersuchung erbrachte kein endgültiges Ergebnis.

Klima: Biden hatte das Fernbleiben Xis beim Klimagipfel in Glasgow vor wenigen Tagen als "großen Fehler" kritisiert. Überraschend kündigten die USA und China als weltgrößte Verursacher von fossilen CO2-Emissionen dann aber an, ihre Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Klimawandel auszubauen. "Die USA und China haben keinen Mangel an Differenzen", sagte der US-Klimaschutzbeauftragte John Kerry. "Aber beim Klima ist das der einzige Weg, diese Aufgabe zu bewältigen." (APA, 16.11.2021)