Ein Blick in den Plasma-Ofen: Hier erhalten Keramikgehäuse von Rado ihren speziellen, metallischen Glanz.

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Das Modell Captain Cook High-Tech Ceramic von Rado

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Ein genauer Blick auf die Keramiklünette der GMT-Master II von Rolex

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Keramik-Zifferblatt: Seamaster Diver 300M Black Black von Omega.

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Hublot: Die Big Bang Unico-Keramikuhren-Kollektion in ihrer ganzen bunten Pracht.

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Die Big Pilot’s Watch Perpetual Calendar Edition Racing Green von IWC Schaffhausen verfügt über ein Gehäuse aus schwarzer Zirkonoxid-Keramik.

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Ariel Adams ist überzeugt. "Keramik ist das wichtigste Material in der Uhrmacherei", schreibt der Fachmann auf der von ihm betriebenen, in der Szene hochangesehenen Plattform A Blog to Watch. Seinem Urteil möchte sich gerne anschließen, wer einen näheren Blick auf die Eigenschaften des Werkstoffs wirft – und was die Uhrenindustrie damit anstellt.

Er ist leicht, hypoallergen, kratz- und verschleißfest. UV-Strahlung macht ihm keinerlei Probleme, Feuchtigkeit steckt er weg wie nix, Form und Glanz bleiben mindestens für Jahrzehnte erhalten. Kurz: ein perfektes Material für den Bau hochwertiger Zeitmesser. Dass hier nicht die Rede von herkömmlichem Porzellan ist, wie es in der Vitrine steht, muss nicht extra erwähnt werden.

Als Grundlage für den Werkstoff gilt die Forschungsarbeit des deutschen Chemikers Martin Klaproth. Er entdeckte 1789 das Element Zirkonium, das beim Brennvorgang zu Zirkoniumoxid wird, einer "Oxidkeramik". Wir finden es heute in Brennstoffzellenmembranen oder Gelenkimplantaten. Gut zwei Jahrhunderte mussten vergehen, bis sich die Uhrenindustrie damit zu beschäftigen begann. Man suchte nach einem Material, das den wertvollen Tickern quasi "unvergängliche Schönheit" bescheren sollte.

Gemeinhin werden IWC und Rado als Pioniere auf diesem Gebiet genannt. Beide brachten 1986 erste Uhren aus Keramik heraus – IWC gelang es, eine Da Vinci mit Keramikgehäuse herzustellen, Rado begnügte sich bei der Integral noch mit einem Armband aus kratzfesten Keramik-Komponenten, 1989 folgte dann die Ceramica mit Keramikgehäuse. Rado legte damit den Grundstein für seinen Ruf als Keramik-Spezialist.

Uhren aus dem Reaktor

Unterstützung erhält die 1917 gegründete Marke, die seit 1983 zur Swatch Group gehört, von einer weiteren Tochter des Konzerns: Comadur in Le Locle, wo die Keramikkomponenten gefertigt werden. Von der "normalen" Keramik der 1980er hat man sich entfernt, mittlerweile ist man über die Station "Hightech-Keramik" bei der "Plasma-Hightech-Keramik" angelangt – klingt auch besser. Zur Erklärung: Zeitmesser aus Hightech-Keramik beginnen ihren Lebenszyklus als ultrafeines Zirkonoxidpulver, das anschließend mit Pigmenten vermischt und unter Hochdruck in eine Gussform gespritzt wird.

"Gebacken" werden die Keramikkomponenten in einem Ofen bei 1450 Grad Celsius. Dabei verschmelzen Zirkonoxid und Farbpigmente miteinander. Bei diesen hohen Temperaturen schrumpfen die Komponenten und erreichen so ihre endgültige Dichte und Farbgebung.

Metallischer Schimmer

Beim abschließenden Veredelungsverfahren, das mehrere Tage in Anspruch nehmen kann, können sowohl hochglänzende als auch matte Oberflächen erzielt werden. Das Endprodukt verfügt nicht nur über hypoallergene Eigenschaften, sondern ist um 500 Prozent härter und um 25 Prozent leichter als Edelstahl. Für Laien mag dies schon wie moderne Alchemie klingen – aber es geht noch ein bisserl abgefahrener, siehe Plasma-Hightech-Keramik.

Bei diesem Verfahren wird komplett auf Pigmente verzichtet: Weiße Keramikkomponenten werden in einem speziellen Reaktor einer Plasmasäule bei Temperaturen bis zu 20.000 Grad Celsius "aktivierten Gasen" ausgesetzt. Die Keramik nimmt dadurch einen warmen, grau-metallischen Schimmer an.

Ohne dass ein Metall im Spiel wäre. Struktur und Eigenschaften der Keramik bleiben erhalten. Somit zeichnet sich plasmabehandelte Keramik durch die gleiche Härte, Kratzfestigkeit, Hautverträglichkeit und ein ebenso leichtes Gewicht aus wie Hightech-Keramik. Mittlerweile ist es Rado gelungen, diesen eher monochromen "Plasma"-Uhren auch Farbe zu verleihen.

Zum Leuchten bringen

Das Know-how kommt auch anderen Marken der Swatch Group zugute. Das Gehäuse der Omega Speedmaster "The Dark Side of the Moon" zum Beispiel besteht aus schwarzer Keramik, ebenso wie das Zifferblatt der heuer im März lancierten Seamaster Diver 300M Black Black. Die Vorzüge von Keramik bewogen auch Rolex dazu, einschlägige Komponenten zu verbauen.

2005 kamen sie erstmals bei einer GMT-Master II zum Einsatz. Damals noch einfärbig, schaffte es der Genfer Uhrenriese 2013 einen schwarz-blauen Keramik-Zahlenring in die Lünette des Modells zu integrieren, später einen rot-blauen. Das Besondere daran: Es ist gelungen, die beiden Farben genau zu trennen, obwohl der Ring aus "einem Guss" besteht.

Hitze und Druck

Wie viel Leuchtkraft aus Keramik herauszuholen ist, bewies Hublot. Auf der Baselworld 2018 präsentierte die Manufaktur eine Weltneuheit: Die Big Bang Unico Red Magic war die erste Keramikuhr der Welt, deren Gehäuse komplett aus leuchtend roter Keramik bestand. Vier Jahre Entwicklungsarbeit nahm es in Anspruch, den Farbton so hinzubekommen, von dem es lange Zeit hieß, dass es unmöglich sei. Denn bis dahin konnte kein entsprechendes Farbpigment den hohen Temperaturen im Brennofen standhalten, ohne seinen Glanz zu verlieren.

Wie sie das gemacht haben, das verschweigen die Kollegen aus Nyon bei Genf freilich. Nur so viel ließ man die Öffentlichkeit wissen: Es war eine Eigenentwicklung, und es hat etwas mit der richtigen Balance aus Hitze und Druck zu tun, damit die Farbpigmente nicht verbrennen. Schon davor ließ Hublot mit einem speziellen Materialgemisch aufhorchen, Magic Gold. Hier wurde Gold mithilfe von Keramik kratzfest und widerstandsfähig gemacht.

Dass bei dem Thema noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist, beweist Swatch. Dort ist man dabei, sich langsam vom Plastik zu verabschieden. Letztes Jahr lancierte man eine Kollektion aus Bioceramic, einem Werkstoff, der zu zwei Dritteln aus Keramik und einem Drittel Biokunststoff besteht. (Markus Böhm, RONDO, 22.11.2021)