"Alles, was ich weiß über die Liebe" lautet der Titel ihrer Memoiren, die sich 300.000-mal verkauften. Mit "The High Low" war sie die erfolgreichste weibliche Podcasterin des Landes. Per Videocall aus London erklärt Alderton, was zwischen Männern und Frauen gerade schiefläuft.

"Die bindungslose und infantile Zeit der Adoleszenz dehnt sich plötzlich bis in die Dreißiger aus, viele Menschen schieben eine ernste Beziehung auf", weiß Dolly Alderton.
Foto: Alexandra Cameron

STANDARD: Ein junger Mann hat einmal auf dem Datingportal Hinge geschrieben: Lebe jeden Tag so, dass Dolly Alderton ihren Glauben an Männer wiederfindet. Was meint er?

Dolly Alderton: Ich hatte bis vor einigen Jahren eine Datingkolumne in der "Sunday Times". Da habe ich natürlich nicht über die perfekten Abende geschrieben, das will niemand lesen, sondern mich an Drehbuchautorin und Regisseurin Nora Ephron gehalten: Wenn du auf einer Bananenschale ausrutschst, sei die Erste, die darüber Witze macht. Seitdem denken viele, mein Liebesleben sei eine Katastrophe. Weil ich darüber gejammert habe, wie schwierig Männer sind, wie kompliziert die Kommunikation zwischen Heterosexuellen abläuft. Ich habe diesen Ruf, eine große Männerhasserin zu sein, die Hoden mit der Mistgabel aufspießt. Nicht wahr, ich liebe heterosexuelle Männer. Ich verdanke ihnen meine Karriere.

STANDARD: In Ihren Büchern kommen sie selten gut weg. Zuerst in Ihren Memoiren und zuletzt im Debütroman "Gespenster". Sind Sie sauer auf Männer, die sich nicht binden wollen?

Alderton: Nein, ich verstehe sie komplett. Ich will mich auch nicht binden, den Großteil meines Lebens war ich Single und finde Monogamie auf lange Sicht herausfordernd. Um ehrlich zu sein, wenn ich ein Mann wäre, würde ich im nächsten Jahrzehnt keine Beziehung eingehen.

STANDARD: Doch, wie Sie im Buch schreiben, Sie sind eine Frau Mitte 30 – und da zählt das Alter.

Alderton: Das ist der große Unterschied! Ich kenne Männer, die sagen: "Ich will jetzt keine Kinder, erst mit 45, davor konzentriere ich mich auf die Arbeit, baue meine Traumwohnung aus, ziehe jede Nacht durch die Clubs und schlafe mit allem, was sich bewegt." Okay, damit kann ich leben. Mich regt es jedoch auf, wenn Männer unaufrichtig sind. Eine Frau ist biologisch anders, sie will vielleicht Familie und Kinder. Wenn sie mit Ende 30 ein Jahr mit einem Typen verbringt, der nicht ganz sicher ist, was er will, nur seinen Spaß sucht, die ganze Zeit jedoch der Frau vorgaukelt, dass er sich vielleicht in einem Jahr eine Beziehung vorstellen könnte, dann hat er ihr die Zeit gestohlen.

STANDARD: Davon handelt auch der Roman, es geht ums Ghosting. Jemand verschwindet plötzlich ohne Vorwarnung. Gab es das früher nicht auch?

Alderton: Ich habe die Memoiren der Verlegerin Diana Athill gelesen. Darin beschreibt sie, wie ihr Verlobter sie in den 50er-Jahren einfach sitzengelassen hat. Dieses Phänomen gab es, aber es grassierte nicht so wie heute. Öfter höre ich Geschichten von Männern, die sich wochenlang mit einer Frau treffen und eine Nachricht schicken: "Wir treffen uns am Mittwoch auf einen Kaffee", dann nicht erscheinen und nie wieder von sich hören lassen. Das Schockierende daran finde ich, dass es keinen mehr schockiert. Auf Dating-Apps fühlt sich keiner dem anderen gegenüber verpflichtet. Weil sie nur eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind auf derselben App gelandet. Sie haben keine gemeinsamen Freunde, arbeiten nicht im selben Büro, trinken nicht im selben Pub. Vermutlich leben sie eineinhalb Stunden mit der U-Bahn voneinander entfernt. Der Mann denkt: Wenn ich verschwinde, bekomme ich keinen Ärger.

STANDARD: Neben Ghosting tauchen beim Online-Dating immer wieder neue Begriffe auf: Tinder Celebrity, Revenge Porn. Welche sind Ihnen zuletzt untergekommen?

Alderton: Orbiting. Wenn man bemerkt, dass jemand deine Posts in sozialen Medien ansieht, aber nicht mehr auf persönliche Nachrichten reagiert. Sehr weit verbreitet. Sie ignorieren den direkten Kommunikationsversuch, kreisen aber um dich herum. Oh, und dann gibt es Breadcrumbing. Jemand hinterlässt kleine Spuren in den sozialen Medien, kleine Krümel an Aufmerksamkeit, zum Beispiel Kommentare zu Bildern, sodass der andere annimmt, es gebe Interesse, aber auch hier wird jede direkte Kommunikation abgelehnt. Und ganz schlimm ist Benching, wenn jemand die Möglichkeit einer Beziehung auf die lange Bank schiebt. Er hält dich an der Stange, sagt, vielleicht später mal, und gibt dir Hoffnung. Das finde ich schlimmer als Ghosting. Weil die andere Person wartet und wertvolle Zeit vergeudet.

STANDARD: Erfolglose Treffen machen einen Großteil Ihres Schreibens aus. Was ist so schwierig in Ihrer Generation geworden?

Alderton: Das klingt vielleicht dürftig, aber ich glaube, dass der Anstieg der Lebenserwartung eine Auswirkung auf die Lebensplanung hat. Meine Großmutter ist vor einigen Jahren mit 73 gestorben, und alle in der Familie waren sich einig, dass das ein hohes Alter war. Eine Freundin von mir hat gerade ein Kind bekommen, und der Arzt sagte, dessen Lebenserwartung liege nun bei 120 Jahren. Das ist nicht mehr wie zu Zeiten von Jane Austen, als du eine hoffnungslose Jungfer warst, wenn du mit 23 noch nicht geheiratet hast. Die bindungslose und infantile Zeit der Adoleszenz dehnt sich plötzlich bis in die Dreißiger aus, viele Menschen schieben eine ernste Beziehung auf. Hinzu kommen die Dating-Apps, die alles verkomplizieren.

STANDARD: Es ist doch toll, mehr Optionen zum Kennenlernen zu haben.

Alderton: Stellen Sie sich vor, ich würde nicht 2021, sondern in den 50er-Jahren in Camden Town wohnen. Ich könnte vielleicht von Cary Grant träumen, aber die einzigen Männer, die ich träfe, wären Freunde meines Bruders, Brüder meiner Freundinnen und ein paar Jungs aus dem Pub nebenan. Das Internet hat die Welt für uns geöffnet, was befreiend, aber auch beklemmend ist. Wir haben die Qual der Wahl. Millionen von Partnern, Beziehungen und Lebensvariablen! Und diese führen zu einer Art Bindungspanik. Niemand will sich festlegen, weil hinter dem nächsten Profil die bessere Option warten könnte.

STANDARD: Tatsächlich hat das amerikanische Pew Research Center im vergangenen Februar eine Umfrage veröffentlicht, in der 57 Prozent aller Männer angaben, dass sie nicht genügend Aufmerksamkeit auf Onlineportalen finden – aber nur 24 Prozent aller Frauen.

Alderton: Das überrascht mich kein bisschen. Ich habe großes Mitleid mit diesen Männern. Denn wenn Sie genau hinschauen, erzählt uns das etwas über das männliche Ego heutzutage – dass Männer über Promiskuität und Attraktivität ihren Selbstwert definieren. Das führt im besten Fall zu einer Unzufriedenheit in der Statistik, im schlimmsten Fall greifen Männer zu Waffen und schießen in Shoppingmalls um sich, weil sie zu wenig Aufmerksamkeit bekommen und sich von der Welt betrogen fühlen. Ich finde, das ist ein ernsthaftes Problem, das wir angehen müssen.

STANDARD: Sie plädieren dafür, Männer emotional zu bilden?

Alderton: Absolut. Wir müssen Jungs anders erziehen als bisher, eine andere Sprache verwenden, das Konzept von Maskulinität verändern. So oft ich auch über heterosexuelle Männer murre, so leid tun sie mir. Selten erlebe ich, dass sie dieselbe Intimität und Nähe erfahren, die wir Frauen in unseren Freundschaften pflegen. Vielleicht hat Mutter Natur uns das als Trost mitgegeben, als Ausgleich für all die Erniedrigungen, die wir Frauen erleben: ein Unterstützernetzwerk, in dem alles diskutiert werden kann und in dem es keine Verurteilung gibt. Dass Verletzlichkeit nichts ist, wovor man sich nicht fürchten muss. Bei vielen Männern beobachte ich, dass sie ihren Lebenspartner und ihre Mutter haben, mit denen sie darüber reden – aber kaum mit ihren Freunden.

STANDARD: Haben Sie überhaupt Männerfreunde?

Alderton: Die kann ich an einer Hand abzählen: drei. Mein Leben ist schwer weiblich. Ich kann Männer schlecht fassen, außer in einem romantischen Kontext. Weil ich auf eine Mädchenschule gegangen bin und nie richtig gelernt habe, entspannt mit ihnen umzugehen – ohne diesen Hintergedanken, gefallen zu müssen.

STANDARD: Was bereden Sie mit Ihren Freundinnen und was mit den Heteromännern?

Alderton: Als ich 30 war, habe ich mich öfter mit einem Typen getroffen, der mich schlecht behandelt hat. Jeden Tag habe ich mich mit meinen Freundinnen darüber unterhalten, wir haben ihn in Abwesenheit therapiert, seine Kindheit analysiert, seine Eltern. Hat seine Ex-Freundin etwas getan, das ihn zu einem schlechteren Menschen gemacht hat? Sie haben mit unendlicher Geduld Probleme mit mir durchgekaut. Und dann ging ich eines Abends mit einem der Freunde aus, wir tranken Bier im Pub, und er sagte: "Ich hasse diesen Kerl, weil er dich so beschissen behandelt. Du solltest ihm nie wieder schreiben." Das war’s, Problem gelöst. Das ist ein bisschen Yin und Yang, aber eine nützliche Energie, die jeder in seinem Leben haben sollte.

STANDARD: Im Roman schreiben Sie, dass Sie sich als Frau wie ein Dolmetscher für männliche Emotionen fühlen. Wünschen Sie sich manchmal heimlich, lesbisch zu sein?

Dolly Alderton ist Podcasterin und Autorin.
Foto: Alexandra Cameron

Alderton: Ich hab’s versucht. So gern hätte ich mich in meine Freundinnen verliebt. Ich bin schuldig, all diese Sachen schon einmal gedacht zu haben: Ich mag weibliche Formen, ich verstehe die Psyche besser, wäre es nicht besser, wenn ich eine Lesbe wäre? Aber wenn ich das sage, trivialisiere ich die Komplexität, die Brutalität, die Herrlichkeit dessen, was es bedeutet, lesbisch zu sein. Denn so einfach ist es dann doch nicht. Auch lesbische Paare leben nicht in einer sorgenfreien Utopie. Ich denke, wenn man Frauen als Gutmenschen vereinfacht, hat das einen misogynen Beigeschmack. Sie können genauso schrecklich wie Männer sein.

STANDARD: Schauen Sie manchmal zurück, wie vermeintlich einfacher es Generationen vor Ihnen hatten: zufällige Treffen auf der Straße, eine Einladung zum Kaffee?

Alderton: Natürlich. Ich habe mit 25 Jahren angefangen, übers Internet zu daten, aber jetzt nach mehr als zehn Jahren habe ich ein Erschöpfungssyndrom. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr, ich möchte endlich jemand im echten Leben kennenlernen. Niemand will auf Dating-Apps abhängen. Eilmeldung: Wir alle hassen es, dort zu sein. Jeder von uns wünscht sich, dass ein Mann uns einmal entdeckt, während wir in einem Café in Soho sitzen und auf der Couch ein Buch lesen. Dass er dann seine Telefonnummer auf eine Serviette schreibt, die er uns heimlich auf den Tisch legt.

STANDARD: Und das ist Ihnen noch nie passiert?

Alderton: Doch, mit Anfang 20. Aber seitdem nicht mehr. Mit dem Aufkommen der Apps hat sich etwas verschoben: Die Menschen sind für solche Begegnungen gar nicht mehr offen. Es passiert keinem mehr, wenigstens in London unter meinen Freunden. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass ich mich in jemanden verliebe, dass wir zusammenleben – was ich bisher noch nie getan habe – und ein Kind haben. Aber wo soll ich diesen Kerl im Moment treffen? Es ist Pandemie, die Wohnung ist mein Büro. Ich könnte mich höchstens in den Postboten verknallen. (Ulf Lippitz, RONDO, 5.12.2021)