Der norwegische Pianist Leif Ove Andsnes spielte Mozart in Musikverein gar brav.

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Wien – Der Musikhistoriker Johann Hölzel beschreibt den Komponisten W. A. Mozart in seinem Standardwerk Rock Me Amadeus mit falkengleicher Rückblickschärfe als "Superstar" und als "Punk", als "Mann der Frauen", der "so exaltiert" war, "because er hatte Flair". 1785, exakt 200 Jahre vor dem Erscheinen von Hölzels Analyse, warf der exaltierte Punk noch schnell zwei Klavierkonzerte auf den gierigen Wiener Musikmarkt.

Leif Ove Andsnes muss in intensiven Privatforschungen völlig neue Erkenntnisse über den berühmtesten Sohn von Tu felix Austria gewonnen haben. Denn wenn man dem norwegischen Pianisten bei seiner Interpretation von Mozarts Klavierkonzerten KV 466 und 467 am Montagabend im Musikverein so zuhörte, ergab sich für den Zuhörer ein völlig neues Mozart-Bild. So wie der 51-Jährige die beiden Werke deutete, muss ihr Schöpfer ein asexueller Plüschtierfreund mit einem Faible für Seidenfoulards und Ayurveda-Kuren gewesen sein.

Polierte Kunstfertigkeit

Die Themenschau des Gentleman-Pianisten Andsnes erinnerte an ein Defilee wohlerzogener Schoßhündchen, die Sechzehntelläufe an ewiglange, akkurat gestutzte Thujenhecken, die langsamen Sätze an feinste Zuckerbäckerkreationen: ideale Filmmusik für fein pürierte, wohltemperierte Rosamunde-Pilcher-Kost. Ist polierte Kunstfertigkeit wirklich der Preis, den man für 200 Jahre Mozart-Pflege zahlen muss?

Andsnes spielte, als hätte es die interpretatorischen Befreiungsaktionen des sensiblen Raubeins Nikolaus Harnoncourt nie gegeben, der Mozart vom marmornen Musikapoll zum Menschen verlebendigte.

Punch, und Explosionen

Zum Glück sorgte das Mahler Chamber Orchestra für Leben in der Bude. Dessen Tutti-Stellen hatten Punch, die Sforzati zündeten wie kleine Explosionen. Bei der Prager Symphonie sprudelten die Themen mit der quirligen Frische eines Gebirgsbachs vorbei, der Kopfsatz wurde unter der Leitung von Konzertmeister Matthew Truscott fast etwas zu furios hingefetzt. Keine Überraschung, dass das finale Presto dann im Schnelldurchlauf abgespult wurde: wie eine Verfolgungsjagd von Tom und Jerry – allerdings von Botticelli gezeichnet. Denn die Klangschattierungen und die Farbnuancen des juvenilen Kammerorchesters waren Weltklasse. Dennoch: Ein Tick weniger überdreht wäre mehr gewesen. Da hätte wahrscheinlich auch Herr Hölzel zugestimmt. (sten, 16.11.2021)