Welcher ist der beste Weg zur Klimaneutralität? Und was hat das Ganze mit dem Bildungssystem zu tun? Um diese und weitere Fragen ging es in der politischen Debatte zwischen Johannes Pressl und Julia Herr.

STANDARD: Über das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz wurde heute wenig geredet. Dabei wurde es von der Regierung als große Errungenschaft angepriesen. Herr Pressl, bringt das Gesetz weniger als versprochen?

Pressl: Man muss unterscheiden. Es ist ja noch ein Erneuerbaren-Wärme-Gesetz in Planung. Die Zielsetzung dahinter ist es, den elektrischen Strom als Energieträger zu optimieren. Als Beispiel sind heute die Erneuerbaren-Ausbau-Gemeinschaften genannt worden. Im Lokalen wird das also gemacht.

STANDARD: Aber wie ein Gamechanger klingt das nicht ...

Pressl: Man muss davon ausgehen, dass Strom ein wesentlicher Energieträger der Zukunft sein wird. Die Erzeugung wird hier beispielsweise reguliert. Und ein zweiter Schwerpunkt sind die Netze und die Netzstabilität.

Thesen, Argumente, Gegenargumente: Beim Wohnsymposium gab es eine gesittete politische Debatte zwischen Bürgermeister Johannes Pressl und der Abgeordneten Julia Herr.
Foto: Newald

STANDARD: Frau Herr, die SPÖ hat nach etwas Zögern dem Gesetz zugestimmt. Sind Sie damit zufrieden?

Herr: Wenn wir zu hundert Prozent auf erneuerbare Energien umstellen, dann ist das natürlich ein großer Schritt. Aber wir sind noch nicht am Ende der Fahnenstange. Unser Problem ist, dass der Energieverbrauch immer weiter steigt. Nur der Ausbau reicht nicht. Die beste Energie ist die, die wir gar nicht erst erzeugen. Und die vorhandene muss effizient genutzt werden. All das muss auf gesetzlichen Grundlagen beruhen, auf den Klimazielen für 2040. Dieser Plan fehlt bisher.

"Wir brauchen genauso viel Engagement in der Änderung der emotionalen Haltung." – Johannes Pressl

STANDARD: Umweltministerin Leonore Gewessler hat kürzlich in Glasgow gesagt, Österreich sei wieder Vorreiter. Ist diese Aussage berechtigt?

Herr: Es ist einiges geschehen. Wir haben mehr Geld für den Klimaschutz zum Beispiel. Aber Vorreiter würde ich uns auf keinen Fall nennen. All die Ankündigungen in Paris wurden nie in die Tat umgesetzt. Wir haben noch 18 Jahre, und es wird sehr knapp. Mit der bisherigen Performance werden wir es nicht zur Klimaneutralität schaffen. Da müssen wir zusammen anpacken.

STANDARD: Die Strategie der Bundesregierung ist es, möglichst wenig Schmerzen zu bereiten und vor allem auf Förderungen zu setzen. Auf dem Symposium haben wir vor allem den Wunsch nach einem Zwang gehört. Wer hat recht?

Pressl: Ich bin der Meinung, dass wir Zuckerbrot und Peitsche brauchen, Motivation und Verpflichtung. Wir müssen wissen: Wenn das schiefgeht, haben wir alle ein Problem. Ein Kulturwandel ist die Grundlage. Wir müssen aber einen Aspekt immer berücksichtigen, und das ist die Frage des Eigentums. Wenn wir über Zwang reden, reden wir über den Eingriff in Eigentumsrechte. Das ist in Österreich mit einer hohen Sensibilität anzugehen. Aber ich denke schon, dass es Zwänge geben kann. Wenn wir Fernwärme als die Zukunft ansehen, warum also nicht über eine Anschlusspflicht reden? Es gibt schließlich auch eine Anschlussverpflichtung für das öffentliche Kanalnetz. Da diskutiert niemand darüber. Aber so viel Engagement müssen wir auch in die Änderung der emotionalen Haltung stecken.

"Die beste Energie ist die, die wir gar nicht erst erzeugen." – Julia Herr

STANDARD: Frau Herr, wo sehen Sie die Balance zwischen Zwang und Anreiz?

Herr: Die Zeit ist knapp. Und da allein auf die Motivation zu vertrauen, das geht sich nicht aus. Ich bin bei der Peitsche und dem Zuckerbrot. Wir brauchen endlich ein Ziel, dann können wir auch gemeinsam daran arbeiten. Aber natürlich braucht es auch die Motivation, braucht es auch die Förderungen und eine gute Energieberatung, sonst ist das alles nicht machbar. Darüber hinaus kommt ja auch noch die Frage hinzu, ob wir überhaupt genug Installateurinnen und Installateure haben, die all diese Sanierungen leisten können. Aber noch einmal: Nur durch den Markt wird es nicht klappen.

STANDARD: Herr Pressl, der Fachkräftemangel wurde öfter angesprochen und scheint ein Flaschenhals zu sein. Was kann man da tun?

Pressl: Das haben wir in allen Bereichen. Ich glaube, dass wir unter anderem über unser Bildungssystem reden müssen. Nur Akademikerinnen und Akademiker werden uns die Häuser nicht zusammenbauen. Und wenn das nicht funktioniert, müssen wir auch über das benachbarte oder fernere Ausland nachdenken.

STANDARD: Frau Herr, ist die Bildungspolitik auch einer der Problembereiche einer erfolgreichen Klimapolitik?

Herr: Nicht jede und jeder muss studieren gehen, das unterschreibe ich. Vor allem wird es auch, wenn wir es ernst meinen mit den Klimazielen, einige Jobs geben, die wegfallen. Da braucht es Umschulungen und Entgeltfortzahlungen. Es braucht eine sozial gerechte Klimapolitik. (Eric Frey, Thorben Pollerhof, 17.11.2021)