Michael Cerveny, Senior Expert am Energy Center für Urban Innovation Vienna, legte erst einmal die Fakten auf den Tisch: "Es gibt bisher kein Klimagesetz, auch in Wien nicht. Das alles sind lediglich Regierungserklärungen." Und er räumte gleich mit einem weiteren Mythos auf: "Der Energieverbrauch pro Kopf in Wien ist nur halb so hoch wie im Rest Österreichs."

Michael Cerveny
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Trotzdem müsse man überlegen, wie man vor allem die Transformation von Gasheizungen (und in seltenen Fällen auch Ölheizungen) in der Bundeshauptstadt bewältigen könne. 500.000 seien es aktuell. Rund die Hälfte könnte durch den Anschluss an das Fernwärmenetz ersetzt werden. Das würde eine Energiebedarfserhöhung von 2000 Megawatt auf 3000 bedeuten, ein neues Kraftwerk wäre vonnöten. "Das sind gigantische Investitionen, ein massiver Ausbau." Kostenpunkt: 20 bis 35 Milliarden Euro, schätzen Expertinnen und Experten.

Damit das alles sauber ablaufen kann, bräuchte es gesetzliche Vorgaben. "Und die am besten vor fünf Jahren", sagte Cerveny. Die Baubranche sei nun einmal jetzt in der Pflicht: "Die Mobilität ist nicht das Problem, die haben die E-Sparte, das läuft alles. Der Gebäudesektor ist viel schwieriger, da braucht es Engagement", sagte er und verwies auf einen nötigen Dekarbonisierungsfahrplan der Bauträger.

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Den Umweg über Wasserstoff oder grünes Gas sehe er nicht – zumindest nicht im Wohnsektor. "Das sind Dinge, die sind für die Industrie interessant, aber nicht für die breite Masse", sagte er und stellte erneut die Fernwärme in den Vordergrund. "Die liegt bei ganz vielen vor der Tür – sie ist nur nicht angeschlossen."

Ernst Bach, Vorstandsdirektor und Obmann der Genossenschaften im Sozialbau-Verbund, stellte eine andere Alternative vor: die thermische Bauteilaktivierung im Bestand. Konkret sieht das so aus: "Wir fräsen eine Bodenheizung in die Fassade des Gebäudes. Durch die Leitungen schicken wir dann entweder heißes Wasser, um die Räume zu erwärmen, oder kaltes Wasser, um sie zu kühlen." Das würde eine Energieeinsparung von rund 25 Prozent bedeuten. Das liegt daran, dass Wasser eine weit höhere Wärmekapazität als beispielsweise Stahlbeton oder Holz hat. Kostenpunkt für ein Gebäude: rund 4500 Euro.

Ernst Bach
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Stefan Haertl, Prokurist und Leiter der Zweigniederlassung NÖ-Wien der Heimat Österreich, zeigte an diversen Beispielprojekten in Wien und Österreich, dass klimafreundliches Bauen vor allem im Neubau kein Problem mehr ist. Sei es nun mit Pelletsanlagen, zusätzlichen Photovoltaiksystem auf dem Dach oder dem Einsatz von Wärmepumpen. Es seien genug Alternativen da: "Ja, es ist teurer, und ja, es ist komplexer. Aber es gibt fast keine Ausreden mehr, zumal die Förderungen auch einiges an Kosten abdecken". Und auch er appellierte: "Wir müssen jetzt handeln. Der Gesetzgeber muss jetzt die nötigen Rahmenbedingungen schaffen."

Stefan Haertl
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Effizienz als Kriterium

Hannes Gschwentner, Technischer Geschäftsführer der Neuen Heimat Tirol, sprach über die Entscheidung, in Passivhäusern auf Salzwasserbatterien zu setzen. Die vorherigen Wasserpuffer hätten zu hohe Wärmeverluste nach sich gezogen. In den Salzwasserbatterien lagere nun der selbstproduzierte Strom aus den Photovoltaikanlagen, der als Allgemeinstrom an die Gebäude rückgeführt werden könne.

Hannes Gschwentner
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Zudem habe es bei der Neuen Heimat Tirol ein Umdenken gegeben: "Wir schreiben die Energieeffizienz eines Gebäudes in einem Architekturwettbewerb als Kriterium aus", sagte er.

Der Neubau-Standard ist auf einem guten Weg. Es geht darum, sich um die Sanierung und Adaption des Bestands zu kümmern. Das wird der Kraftakt auf dem Weg zur Klimaneutralität sein. (Thorben Pollerhof, 25.11.2021)