Österreich hat den Kohleausstieg schon hinter sich, Deutschland (im Bild das Kraftwerk Boxwerk in der Lausitz) hat ihn noch vor sich.

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Die Energiewende ist nur eine, wenn auch wichtige Facette des stattfindenden Umbaus der Wirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit. Zumindest strahlt der schrittweise Ersatz klimaschädlicher fossiler Energieträger wie Öl, Gas und Kohle durch erneuerbare auf alle anderen Bereiche aus. Und mittendrin stehen die vielen Zigtausend Unternehmen, die Getriebene und Agierende in einem sind.

"Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen", konstatiert Roland Falb, Managing Partner des Roland Berger Büros in Wien. Und Gundula Pally, ebenfalls Managing Partner bei der international tätigen Unternehmensberatung, ergänzt im Gespräch mit dem STANDARD: "Von der Gesellschaft, von den Kunden, aber auch von den eigenen Mitarbeitern kommt vermehrt Druck, dass Unternehmen einen nachhaltigen Kurs einschlagen."

Kritische Banken

Dieses Phänomen sei seit etwa drei Jahren verstärkt zu beobachten. Pally: "Auch die Banken legen bei Erneuerungsinvestitionen oder Expansionsvorhaben zunehmend Wert auf Nachhaltigkeit. Nichtnachhaltige Konzepte werden seltener finanziert oder wenn, dann nur mit entsprechenden Aufschlägen. Unternehmen können das wirtschaftlich kaum noch durchziehen."

Es gibt aber auch jede Menge Fallstricke, Engpässe und Hindernisse beim großen Umbau. Oft fehlen schlicht Personen, die über entsprechenden Qualifikationen verfügen – auch im so wichtigen Finanzbereich.

"Banken sehen sich vermehrt vor der Situation, dass Unternehmen um die Finanzierung großer Investitionsprojekte im Green-Tech-Bereich anklopfen, um damit ihren CO2-Fußabdruck senken zu können. Das Institut muss dann bewerten, wie sinnvoll die betreffende Investition ist und ob sie nicht möglicherweise zu einer Ergebnisverschlechterung führt. Die Banken haben aber dafür vielfach noch nicht die Expertise oder eine ausreichende Zahl an Mitarbeitern", weist Falb auf ein grundsätzliches Problem hin.

Mitarbeitertraining

Roland Berger, bei dem weltweit an die 2500 Mitarbeiter beschäftigt sind, davon 35 in Österreich, hat aus der Not eine Tugend gemacht und ein großes Trainingsprogramm für die eigenen Mitarbeiter aufgesetzt. "Da bringen wir unseren Leuten bei, solche Entwicklungen in der Industrie, aber beispielsweise auch im Bereich Green Finance zu bewerten", sagt Falb. "Das wird jetzt vermehrt nachgefragt."

Roland Falb und Gundula Pally, Managing Partner der Unternehmensberatung Roland Berger.
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Als probates Instrument, Unternehmen auf Nachhaltigkeit zu trimmen und entsprechende Bewertungen vorzunehmen, habe sich ESG herausgestellt, sagt Pally, die sich bei Roland Berger schwerpunktmäßig mit Industriethemen beschäftigt. Die drei Buchstaben stehen für Environment, Social, Governance (zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). Es geht, verkürzt gesagt, um die Evaluierung der unternehmerischen Sozialverantwortung, die über gesetzliche Anforderungen hinausgeht.

EZB setzt neue Maßstäbe an

Erst kürzlich hat die Europäische Zentralbank (EZB) angekündigt, dass im Rahmen eines ESG-Stresstests bei Kreditinstituten künftig auch Nachhaltigkeitsrisiken als neue Risikokategorie berücksichtigt werden sollen. Das Thema nimmt also zunehmend Fahrt auf.

Neben Engpässen bei qualifiziertem Personal erschwerten schwammige regulatorische Vorgaben den durch Erderwärmung und Ressourcenknappheit angestoßenen Umbau der Wirtschaft, sagen die Experten von Roland Berger. Programme auf europäischer Ebene gebe es zuhauf. Ob Fit for 55, das zum Ziel hat, die Treibhausgasemissionen in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken, oder die angestrebte Klimaneutralität bis 2050 (Österreich bis 2040) – "Überall in der Industrie wird bemängelt, dass die Masterpläne dahinter fehlen", sagt Falb.

Roland Berger setzt sich selbst Ziele

Roland Berger will mit gutem Beispiel vorangehen und bis 2028 in allen rund 50 eigenen Bürostandorten weltweit zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umsteigen. Die Reiserichtlinien wurden bereits überarbeitet, sie sehen unter anderem vor, dass auf der Kurzstrecke vorzugsweise mit der Bahn gefahren, jedenfalls nicht mehr geflogen wird. Falb: "Wir schlucken die Pillen, die wir anderen verschreiben, auch selbst."

(Günther Strobl, 17.11.2021)