Aus Mietwohnungen werden teure Eigentumswohnungen. Das macht etwas mit dem Grätzel. Aber was?

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Das alte Wiener Zinshaus, manchmal mit prächtigem Stuck, manchmal mit abgeblätterter Fassade, hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Denn es ist nicht mehr nur bei Mieterinnen und Mietern begehrt, die hier mit günstigen, gedeckelten Mieten wohnen möchten. Auch Investoren haben das Betongold entdeckt.

2.117 Zinshäuser, die zwischen 1848 und 1918 erbaut wurden, kamen Wien zwischen 2007 und 2019 abhanden, wie eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zeigt. Entweder durch Abrisse oder, häufiger, durch Parifizierungen. Die Wohnungen wurden also als hochpreisige Eigentumswohnungen abverkauft.

Diese Entwicklung verändert ein Grätzel. Jene, die einst günstig hier gelebt haben, werden verdrängt, weil sie sich höhere Mieten oder Wohnungseigentum nicht leisten können. Gentrifizierung wird der Prozess genannt, bei dem wohlhabendere Haushalte jene mit niedrigerem Einkommen verdrängen. Man kennt das Phänomen aus Städten wie London und New York. Aber wird es auch in Wien zum Problem?

Kommunaler und sozialer Wohnbau

Laut ÖAW-Studie wird das Phänomen zumindest überschätzt, weil in Wien kommunaler und sozialer Wohnbau vieles abfedern. Grob gerechnet sind mit den 2.117 Mietshäusern knapp 30.000 Wohnungen zwischen 2007 und 2019 umgewandelt worden. "Das ist bei einer Million Wohnungen, die es in Wien gibt, nicht so wahnsinnig viel", sagt Robert Musil vom Institut für Stadt- und Regionalforschung, einer der Studienautoren.

Besonders viele Häuser wurden in einer "Boom-Periode" zwischen 2015 und 2019 umgewandelt. In dieser Zeit verlagerte sich der Hotspot auch in Bezirke außerhalb des Gürtels, etwa in den 16., 17. und 18., aber auch den 10. und den 12. Bezirk.

In der Studie wurde auch analysiert, ob diese Transformationen mit sozioökonomischen Veränderungen im Quartier einhergingen, also ob tatsächlich – Stichwort Gentrifizierung – Besserverdienende jene mit niedrigerem Einkommen verdrängen. Das Ergebnis: Unterschiedliche Gruppen sind unterschiedlich betroffen. So nahm der Anteil an türkischen oder exjugoslawischen Bewohnerinnen und Bewohnern in untersuchten Quartieren ab.

Andere Bereiche des Wohnungsmarktes

Dafür nahm aber der Anteil deutscher oder osteuropäischer Bewohnerinnen und Bewohner zu. "Wir haben viel diskutiert, ob es sich dabei um Verdrängung handelt", sagt Musil. Seine Erklärung ist allerdings, dass bestimmte Gruppen mittlerweile in anderen Bereichen des Wohnungsmarktes unterwegs sind, etwa im Eigentums- oder Gemeindewohnungssegment.

In den untersuchten Gegenden stieg auch der Anteil der Akademikerinnen und Akademiker, während jener von Pflichtschulabsolventinnen und -absolventen sowie Arbeitslosen sank.

Diese Veränderungen führten aber nicht zu einem Anstieg des Haushaltseinkommens. Die zentrale These des Gentrifizierungs-Ansatzes, die ja auf dem Einkommen fußt, konnte damit nicht bestätigt werden. Allerdings, so Musil, sei wohl nicht das Haushaltseinkommen entscheidend, sondern eben das Vermögen.

Geld von kleinen Banken

Für 90 Objekte, die zumindest 2007 noch echte Zinshäuser waren, wurden außerdem "Häuserbiografien" erstellt, ihre Eigentümerstrukturen bis in die 1920er-Jahre zurückverfolgt. Generell, sagt Musil, mache sich auf Eigentümerseite eine Zunahme juristischer Personen bemerkbar. Der Zeitraum, in dem ein Haus im Besitz bleibt, hat sich stark verkürzt, bei den untersuchten Häusern kam es teilweise zu mehreren Verkäufen pro Jahr.

Noch ein überraschendes Ergebnis: Die Finanzierung erfolgte im Sample nicht über Großbanken, sondern ausschließlich über kleine regionale Banken in Österreich. Warum? "Weil das schnell geht", weiß Musil aus Interviews mit den Akteuren am Markt. Sonst ist das Zinshaus weg, wenn das Geld da ist. (Franziska Zoidl, 17.11.2021)