Die Strahlentherapie ist eine der wichtigsten Behandlungsformen bei vielen Krebsarten. Sie hat allerdings Nebenwirkungen, zu denen auch Veränderungen der Haut zählen. Diese können von trockener Haut bis zu nässender Ablösung reichen.

"Fast 95 Prozent aller Patienten einer Bestrahlungstherapie entwickeln eine Art von Hautrötung", erklärt Richard Partl, Radioonkologe an der Universitätsklinik für Strahlentherapie der Medizinischen Universität Graz. Ihr Schweregrad ist abhängig von Art, Dauer und Dosierung der Bestrahlung. Diese Rötungen sind zwar nicht gefährlich, können aber schmerzhaft sein und im schlimmsten Fall zu einer Verzögerung oder sogar zum Abbruch der Strahlentherapie führen. Deshalb müssen sie medikamentös behandelt werden.

Hautrötungen, die in Folge einer Strahlentherapie entstehen, sollen mit einer Software besser in ihrem Schweregrad eingeschätzt werden können.
Foto: Med Uni Graz

Art und Ausmaß der Hautrötungen werden von den behandelnden Ärzten meist nur visuell begutachtet. "Das ist stark subjektiv, damit kann man in der Forschung und auch im klinischen Routinebetrieb nichts anfangen", meint Partl. So beurteilt jeder Mediziner Hautrötungen ein wenig anders – es gibt keine quantitativen Kriterien dafür, ob sie etwa "mäßig", "leicht", "mittelgradig" oder "diskret" sind.

Im Rahmen einer großen, von 2018 bis 2021 laufenden klinischen Studie hat der Mediziner deshalb die Software ScarletredVision getestet. Sie kann Hautrötungen mittels Fotos objektiv erfassen und erlaubt damit auch einen zeitlichen Vergleich der Veränderungen. Dadurch lässt sich der Schweregrad von Rötungen, aber auch der Erfolg bei ihrer Behandlung wesentlich genauer diagnostizieren als bisher.

Falschfarben

Entwickler der Medizinsoftware ist das österreichische Unternehmen Scarletred. Die Methode basiert darauf, Fotos von den betroffenen Hautstellen zu machen, die qualitativ völlig unabhängig von den jeweiligen Umgebungs-, Kamera- und Beleuchtungsbedingungen sind. Das gelingt mithilfe eines Farbstickers, der direkt neben die fotografierte Stelle geklebt wird.

Die Software, die als App auf iOS-Smartphones läuft, erstellt daraus ein kalibriertes Hautbild, das mit einem QR-Code des Patienten verknüpft wird. Die Bilder werden anonymisiert in der Cloud von Scarletred abgespeichert und dort automatisiert weiterverarbeitet. Neben der Hautrötung sind auch andere Parameter messbar, etwa der individuelle Hauttyp, die Pigmentierung oder der Anteil an entzündetem oder abgestorbenem Gewebe.

Zur besseren visuellen Unterscheidung legt die Software Regenbogenfarben über das analysierte Bild. Dadurch werden die Helligkeitsstufen einer Farbe in Falschfarben umgewandelt, was eine leichtere automatische Erkennung der gewünschten Merkmale erlaubt. Das System schickt dann die Resultate der Bildanalyse an den behandelnden Arzt.

Neuronales Netzwerk

Kernstück der Bewertungstechnologie ist ein neuronales Netzwerk, das aus den Daten der klinischen Studie gelernt hat. Dafür wurden 2263 Bilder von 209 Patienten als Trainingsdaten herangezogen. Dabei handelte es sich vor allem um Patienten mit HNO-Tumoren oder Krebs im Brustbereich, da sich das Bestrahlungsfeld hier am einfachsten fotografieren lässt.

Die Lerntechniken aus der künstlichen Intelligenz (KI) resultierten schließlich in einem Algorithmus, der Hautveränderungen mit einer Treffergenauigkeit von mehr als 90 Prozent korrekt klassifizieren kann. Zusätzlich lässt sich quantitativ erfassen, um wie viel Prozent sich eine Rötung im Vergleich zu einem früheren Zeitpunkt geändert hat. Auch eine Priorisierung nach Schweregrad ist möglich. Das erlaubt es Ärzten im großklinischen Betrieb, gezielt die schwersten Fälle zuerst zu behandeln.

Ein Ziel der Entwickler ist es, dass die Software in der Strahlentherapie künftig den Verlauf von Hautveränderungen von Beginn bis Ende der Therapie voraussagen kann. "Dann könnten wir die Betreuung engmaschiger machen und die Patienten aktiver in die Hautpflege einbeziehen", sagt Partl. "Ich sehe großes Potenzial dafür, dass das System Strahlentherapeuten und dermatologisch tätigen Ärzten künftig die Arbeit erleichtern wird."

Auch Vergleiche zwischen Patienten beziehungsweise Patientengruppen sind möglich. Letzteres findet bereits Anwendung in Impfstudien in den USA, wo die Personengruppe, die ein Medikament erhält, mit einer Placebogruppe verglichen wird. Im Fokus stehen außerdem weitere dermatologische Erkrankungen wie Schuppenflechte, Ekzeme, bestimmte Akne-Varianten oder das Monitoring chronischer Wunden.

Kein Ersatz für den Arzt

"Wir wissen zu keinem Zeitpunkt, wer die Person hinter den Fotos ist", betont Harald Schnidar, Gründer und CEO von Scarletred. Aus Gründen des Datenschutzes sind die Gesundheitsdaten im Smartphone außerdem verschlüsselt in einem eigenen Ordner gespeichert. Derzeit arbeitet das Unternehmen hauptsächlich mit der Pharma- und Kosmetikindustrie zusammen, wo die Software genutzt wird, um therapeutische Effekte und Nebenwirkungen neuer Produkte unter objektiven Bedingungen zu ermitteln.

Das Geschäftsmodell basiert hierbei auf einem Abonnement: Anwender zahlen je nach verarbeiteter Datenmenge. In England und Österreich wird die Software auch in der mobilen Krankenpflege genutzt, um Patienten, die nicht mehr mobil sind oder zu weit vom Arzt entfernt leben, telemedizinisch zu unterstützen: Patienten können zu Hause Fotos ihrer Erkrankung machen und an den behandelnden Arzt schicken.

Schnidar legt Wert auf die Feststellung, dass ScarletredVision eine Diagnoseunterstützung sei und keinesfalls den behandelnden Arzt ersetzen soll: "Unser System liefert analytische Parameter, die der Arzt interpretiert und daraus seine Diagnose erstellt." (Raimund Lang, 17.11.2021)